Ballet-Uraufführung: Poetische Reise mit Momo
Karlsruhe (dpa) - „Alles gehört anderen..., nur die Zeit uns“ soll der römische Philosoph Seneca vor rund 2000 Jahren notiert haben. Gut, dass es in unserer schnelllebigen Zeit immer noch Momo gibt, die Zeit-Dieben den Garaus macht.
Am Badischen Staatstheater in Karlsruhe wurde am Samstagabend das Ballett „Momo“ von Tim Plegge uraufgeführt. Heiter, spannend und ungeheuer poetisch - das erste abendfüllende Ballett des jungen Choreographen war in jedem Fall sehenswert. Das Karlsruher Publikum belohnte es nach zweieinhalb Stunden mit langem Applaus und Bravo-Rufen.
Der gebürtige Berliner und John-Neumeier-Schüler Plegge erzählt den Roman-Klassiker von Michael Ende in sechs Bildern: munter und beschwingt zu Beginn, als die kleine Momo ihre Freunde kennenlernt - und ganz schnell bedrohlich, wenn die zeitlüsternen grauen Herren und Damen auftauchen.
Denn die lauern auf der aus den Fugen geratenen grauen Bühne überall. Sie lugen durch Schlitze, greifen mit ihren Händen heftig zitternd nach frischer Zeit und umzingeln schließlich die, die sie noch haben.
Momo stellt sich diesen grauen Leuten wacker entgegen. Mit der Schildkröte Kassiopeia an der Seite, begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise durch die Niemals-Gasse, die bis zum Ursprung der Zeit führt.
Einer bezaubernden Momo (Blythe Newman) stehen in Karlsruhe Flavio Salamanka, Zhi Le Xu und Shiri Shai als Beppo, Gigi und Kassiopeia bei - und natürlich das Ballettensemble des Theaters, sofern es nicht gerade die bösen Zeit-Diebe verkörpert. Dazu passend die kontrastreiche Musikauswahl, das Bühnenbild von Sebastian Hannak und die Kostüme von Judith Adam. Am Ende gab es viel Beifall für die Tänzer, den Choreographen und die gesamte Inszenierung.
Die Karlsruher Ballettchefin und frühere Stuttgarter Primaballerina Birgit Keil hat Gespür bewiesen, als sie nach einem Festival junger Choreographen in Karlsruhe Tim Plegge herausgepickt hat. Denn der erzählt „Momo“ nicht einfach nach. Er fühlt sich ein.
Es sind auch die kleinen Dinge, die das Stück so sehenswert machen: die flinken Hände, die den Menschen die kostbare Lebenszeit herausziehen wollen, humorvolle Momente mit kleinen Luftsprüngen, eine auf dem Tisch tanzende Momo oder die im Orchestergraben versinkenden grauen Herren und Damen.
Birgit Keil ließ Plegge den Triumph auskosten und erschien am Ende nur kurz mit einem großen Blumenstrauß auf der Bühne. „Es hat mich zutiefst berührt“, sagte sie am Rande der Aufführung. Dem Publikum schien es ähnlich zu gehen.
Übrigens: „Momo“ ist zwar ausdrücklich kein Ballett für Kinder - kommt aber auch bei diesen an.