Camus: Ein radikaler Humanist
Vor 50 Jahren starb der große französische Schriftsteller und Philosoph. Die Kraft seiner Werke kommt aus der Einfachheit.
Paris. Am 4. Januar 1960 kam ein schwarzer Facel-Vega auf der Landstraße rund 100 Kilometer vor Paris von der Straße ab und prallte frontal gegen einen Baum. Albert Camus, der auf dem Rücksitz gesessen hatte, erlitt einen Schädelbruch und einen Bruch der Wirbelsäule. Der Fahrer des Sport-Wagens, der Verleger Michel Gallimard, überlebte den Unfall nur wenige Tage.
Der Schriftsteller, Philosoph, Journalist, Résistance-Aktivist und Nobelpreisträger Albert Camus, 46 Jahre alt, war sofort tot. Sein Grab fand er in dem kleinen Städtchen Lourmarin in der Provence. Hierher hatte sich Camus nach der Verleihung des Nobelpreises 1957 mehr und mehr geflüchtet - vor dem verhassten gesellschaftlichen Pariser Leben mit seinen Verpflichtungen, vor dem eigenen Ruhm.
In dem schlichten Haus, das er sich von dem Preisgeld hatte kaufen können, inmitten der mediterranen Landschaft mit ihren Düften von Rosmarin und Heliotrop und mit Blick auf den algerischen Esel in seinem Garten, hat er sich wohl annähernd heimisch gefühlt. Hier hatte er schließlich auch die Schreibblockade überwunden, die ihn seit dem Nobelpreis quälte. Das Manuskript zu einem neuen Roman mit dem Titel "Der erste Mensch" trug er bei seinem Unfalltod bei sich.
"Selten haben die Anlage eines Werkes und die Erfordernisse des geschichtlichen Augenblicks so eindeutig verlangt, dass ein Schriftsteller am Leben bleibe. Für alle, die ihn liebten, liegt in diesem Tod etwas unerträglich Absurdes. Aber wir werden lernen müssen, dieses verstümmelte Werk als ein Ganzes zu sehen." So schrieb Jean-Paul Sartre in seinem Nachruf auf den einstigen Weggefährten und späteren intellektuellen Gegner - und erwies ihm damit einen letzten Bärendienst. Viel zu lange hat diese Maxime die Camus-Interpretation mit nur wenigen Ausnahmen bestimmt. Man hat sein nicht sonderlich umfangreiches Werk auf die Schlagworte des "Absurden" und der "Revolte" reduziert und übersehen, wie sehr dieses Werk durch den Unfalltod tatsächlich unvermittelt abgerissen wurde.
So konnte sich ein Bild festsetzen, das bis heute im Wesentlichen von Sisyphos, dem Steine wälzenden Held des Absurden bestimmt wird. Der 1994 mit mehr als 30-jähriger Verspätung erschienene autobiografische Roman "Der erste Mensch" vermittelt ein anderes Bild. Hier kehrt Camus zu seinen Anfängen zurück: Zu seiner von Armut geprägten Jugend in Algier - aber auch zum Reichtum, den das Meer, das Licht, die Sonne zeitlebens für ihn bedeutet haben. Motive, die bereits jene frühen literarischen Essays und Erzählungen prägen.
Die hat der Arche-Verlag jetzt unter dem Titel "Hochzeit des Lichts" neu herausgebracht: Hymnen auf die einzigartige mittelmeerische Landschaft, auf ihr Licht, ihren Himmel und ihre Düfte als eine Einladung an den Menschen zur "Hochzeit mit der Erde". Es ist dies weit mehr als eine bloße Liebeserklärung an seine algerische Heimat - es ist ein ganz und gar diesseitiges Bekenntnis der Liebe zum Leben schlechthin: "Mein ganzes Reich ist von dieser Welt".
Nicht das Absurde, nicht die Revolte sollten das letzte Wort haben im Werk von Albert Camus. Er selbst hatte längst einen dritten Werkzyklus geplant, den er in der ein oder anderen Weise dem Thema der Liebe widmen wollte. An dem Lieblingsort seiner Jugend, in den Ruinen der antiken Stadt Tipasa, erinnert eine Gedenkstele mit seinen eigenen Worten an das, was zeitlebens für ihn zählte: "Hier begreife ich, was Herrlichkeit heißt: Das Recht, ohne Maß zu lieben."
50 Jahre nach seinem Tod ist es Zeit, Albert Camus neu zu entdecken.