Strunk-Roman Charly Hübner als Fritz Honka im Schauspielhaus

Hamburg (dpa) - Fliegeralarm, Scheinwerferkegel und explodierende Bomben hinter einem geflickten Riesenvorhang aus Plastik. Bald darauf verlorene Menschen zwischen geborstenen Häusern sowie Filmbilder vom später gesunkenen Schlachtschiff „Bismarck“ im Nordatlantik.

Foto: dpa

Mit solchen Erinnerungsfetzen an den Zweiten Weltkrieg beginnt im Deutschen Schauspielhaus Hamburg eine unterhaltsam abgründige Musikshow über den berühmt-berüchtigten Serienmörder Fritz Honka (1935-1998). Der lockte in den 70-er Jahren im Kiez-Stadtteil Altona vier Frauen vom untersten Rand der Gesellschaft in seine karge Stube, vergewaltigte und erwürgte sie.

Seine Opfer zerhackte der schmächtige Mann, versteckte Fleisch und Knochen vorzugsweise in der Abseite seiner Behausung - um den Gestank dann mit Toilettenduftstoffen aus der Drogerie zu übertönen. Die Biografie Honkas sowie weitere trostlose Facetten der Nachkriegszeit hat der Autor Heinz Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“), Mitglied des Kult-Humortrios Studio Braun, zum Roman „Der goldene Handschuh“ verarbeitet. Der wurde ein Bestseller und mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis prämiert. Mit dem derben Stoff erobern nun Strunk sowie seine Kollegen Rocko Schamoni und Jacques Palminger einmal mehr (etwa nach der Operette „Phönix - Wem gehört das Licht?“) gewohnt dreist das Staatstheater.

Von ihrem buntscheckigen Abend voller zertrümmerte Seelen, sozialem und sexuellem Elend, Einsamkeit und Gewaltverbrechen ließen sich viele Zuschauer der Uraufführung am Samstag spürbar packen. Es gab stürmischem Beifall. Studio Braun agiert dabei als Regieteam voller abseitiger, greller und doch auch menschlich ins Schwarze treffender Einfälle. Wie immer schlüpfen die drei Herren zudem höchstpersönlich in Bühnenrollen. So gibt Strunk den Wirt der Kiez-Kneipe „Zum goldenen Handschuh“, in der Honka auf seine Opfer aus dem Trinkermilieu wartete. Palminger spielt einen Kellner namens Anus. Und Schamoni die Gestalt des Gasts Soldaten-Norbert, der mit 70-Jahre-Lockenmatte, Eisernem Kreuz und SS-artigem Ledermantel unverarbeitete deutsche Vergangenheit verkörpert.

Star der Zeit- und Milieustudie ist allerdings die Film- und Fernsehgröße Charly Hübner (Rostocker „Polizeiruf 110“), Ensemblemitglied am Schauspielhaus. Obwohl äußerlich so ganz anders als der kleinwüchsige, durch einen Unfall im Gesicht entstellte Honka, gewährt der wuchtige Darsteller sensible Einblicke in dessen desaströses, eigentlich kaum vorhandenes Innenleben. In der schwankenden, krampfhaft um aufrechte Haltung bemühten Pose eines Säufers und lebenslang Getretenen vermittelt Hübner dessen Sehnsucht nach Anerkennung und einem Dasein voller Glück mit schönen und gepflegten Frauen. Um doch in Nachtwächter-Uniform eine fette, unansehnliche Randexistenz wie Gerda Voss (Bettina Stucky) zur Unterschrift unter eine Unterwerfungserklärung zu zwingen.

Oder auch sturzbetrunken in schmutziger Unterwäsche beim Sex in seiner mit Nacktbildern aus Illustrierten voll gehängten Dachkammer zu versagen. Lieblingsschlager des real existierenden Honka war Adamos „Es geht eine Träne auf Reisen“. Und so schallen diese Schnulze, der Kriegsschlager „Komm zurück“ sowie Schunkel- und Blechmusik von einer Band, die schon mal in Heilsarmeeuniform aufmarschiert, über die fulminant von Stéphane Laimé gestaltete Drehbühne. Über allem schwebt zunächst in einem Glascontainer eine fast bankrotte Reederfamilie von der vornehmen Elbchaussee. Bis sich Vater (Michael Weber) und Sohn (Jonas Hien) im Kiez-Puff begegnen - und die Geschichte erzählt, dass verheerendes Triebleben nicht nur beim Bodensatz der Gesellschaft anzutreffen ist.