Chinas Ballett erkundet mit Neumeier neue Wege
Peking (dpa) - „Er ist mein Idol“, schwärmt die chinesische Ballerina Zhu Yan über den Hamburger Ballettdirektor John Neumeier.
„Er ist für mich der größte Choreograph der Welt. Ich schätze ihn sehr. Seine Arbeit ist großartig“, sagt die berühmte Tänzerin über Neumeier, der am 24. Februar seinen 70. Geburtstag feiert und seit Ende Januar mit dem Hamburg Ballett durch China tourt. Zhu Nan erinnert sich, als sie 2010 in Hamburg erstmals seine Choreographie gesehen hat: „Ich war geschockt. Die Stücke, die ich gesehen habe, waren alle so anders.“ Zhu Yan tanzt selbst am China National Ballet, das jetzt mit Neumeiers Unterstützung neue Pfade erkunden will.
„Es ist wichtig für die Zukunft des chinesischen Balletts, dass es sich öffnet und sich mit anderen choreographischen Formen beschäftigt“, sagt Neumeier der Nachrichtenagentur dpa in Peking. Nach den ersten Kontakten in den vergangenen zwei Jahren wird die Zusammenarbeit auf eine neue Ebene gehoben: Das Nationalballett nimmt in diesem Jahr sein Werk „Die kleine Meerjungfrau“ in ihr Repertoire auf. Neumeier wird insgesamt einen Monat mit der Kompanie in Peking zusammenarbeiten. Im September soll das Stück aufgeführt werden.
Der dienstälteste Ballettdirektor der Welt ist voll des Lobes für den „sehr progressiven“ Weg, den das China National Ballet eingeschlagen hat. „In unserer Zeit, wo das Lernen durch die Medien so schnell geht, muss man sehen, dass eine Ballettkompanie in einem Land, das sich so schnell entwickelt, sich selbst auch weiterentwickelt“, sagt Neumeier. „Sie darf nicht stehenbleiben an einer Stelle, die naive und kulturell nicht so weit entwickelte Menschen als klassisches Ballett verstehen.“
In seiner Geschichte hat das chinesische Ballett immer wieder große Sprünge gemacht, wie die Direktorin des Nationalballetts, Feng Ying, der dpa sagt. Nach der Gründung der Pekinger Ballettschule 1959 folgte der Tanz anfangs dem russischen Stil. In der Kulturrevolution (1966-1976) wurde alles revolutionär. Bis heute ist das „Rote Frauenbataillon“ das berühmteste chinesische Ballett. Werke wie „Päonien Pavillon“ oder „Raise the Red Lantern“, das vergangenen Sommer in Hamburg gezeigt wurde, haben seitdem gleichwohl eine neue, universale und zeitlich unbegrenzte Ballett-Tradition eingeleitet.
„Wir werden sehr schnell immer besser“, sagt Madame Feng, die einst selbst Ballerina war. „Wir haben sehr viel Zuversicht in unsere Tänzer, während wir aber etwas schwach in der Choreographie und der Kreativität sind.“ Sie freut sich auf die Zusammenarbeit mit Neumeier: „Es wird sehr hilfreich sein für den künstlerischen Ausdruck unserer Tänzer.“ Neumeier selbst ist fasziniert vom chinesischen Ballett: „Innerliche Konzentration statt äußerlicher Mimik.“ Das spiele auch in seinen Werken eine wichtige Rolle.
Angesichts der Unterschiede zwischen dem chinesischen und dem westlichen Ballett fürchtet Madame Feng gleichwohl eine „Kollision“, wenn beide aufeinanderstoßen. „Es wird ein langer Weg, westliche und chinesische Stile zu vermischen“, glaubt sie. „Wir müssen diese Tanzsprache erst lernen, bevor wir es zu einem eigenen Stil entwickeln können.“
Ein Hindernis für die Entwicklung des Tanzes in China erscheint ihr allerdings das unzureichende Verständnis für Ballett. Klassische Stücke wie „Schwanensee“ oder „Giselle“ seien beliebt. Aber mit modernem Ballett tue sich das Publikum noch schwer. Es stecke in einer „sehr frühen Phase“. Im Westen werde „Schwanensee“ hingegen schon seit hundert Jahren gezeigt: „Die Menschen müssen gelangweilt sein und sich nach etwas Neuem sehnen.“ Doch glaubt Madame Feng, dass es den chinesischen Zuschauern in Zukunft auch ähnlich ergehen werde.
Von der Zusammenarbeit mit Neumeier verspricht sich Feng viel. „Es ist hoch interessant, verschiedene Ausdrucksformen durch verschiedene Leute zu sehen, die das Gleiche tanzen.“ Auch Neumeier rechnet für sich mit kreativen Anstößen. „Für mich ist das auch ein Grund, warum ich mit so vielen verschiedenen Kompanien gearbeitet habe“, sagt der Ballettdirektor. „Weil ich das Gefühl habe, von jedem etwas mitgenommen zu haben, was dann wie die Erfahrungen, die man sammelt, ein Teil von mir wird.“