„Der Entertainer“ singt und tanzt in Hamburg

Hamburg (dpa) - Blondiertes längeres Haar, viel Gesichtsbräune, weißer Anzug und lilafarbenes Hemd - von weitem besteht ein bisschen Ähnlichkeit mit Bandleader James Last. Ein Showman ist dieser Archie Rice (Michael Wittenborn) auf jeden Fall, wenn auch einer der abgehalfterten Sorte.

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Immer weniger wollen den Trinker sehen, wenn er in einer heruntergekommenen Music Hall alte Schlager singt oder billige Witze erzählt. Sein letztes Geld hat er in eine Porno-Varieté-Show für Touristen gesteckt, mit seiner Familie liegt er quer. Archie Rice ist „Der Entertainer“, Titelfigur in John Osbornes heute selten gespieltem Sozial-Drama aus dem Jahr 1957.

Am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, seiner Wirkungsstätte vor allem in den 90er Jahren, hat der Schweizer Regie-Star Christoph Marthaler (63) das Werk stimmungsvoll in Szene gesetzt. Seinem grotesk-bunten Vaudeville-Theater spendete das Publikum bei der ausverkauften Premiere am Samstagabend viel Beifall - doch es gab auch Buhrufe.

Ein prachtvoll-ramponiertes Varietébühnen-Ambiente (Duri Bischoff), viel Musik (Easy-Listening-Sound einer Band unter Andreas Böther) und Darsteller aus der Marthaler-Entourage wie Jean-Pierre Cornu als Vater Billy, Irm Hermann als sich in Kino-Illusion flüchtende Phoebe und Josef Ostendorf als anonymer Varietékünstler: Lustvoll mixt der Theatermacher wieder typische Zutaten seiner Inszenierungskunst.

Das Stück, mit dem der junge Autor Osborne („Blick zurück im Zorn“) den Niedergang des britischen Empires schildern wollte, feierte kurz nach der Uraufführung in London in Hamburg seine deutsche Erstaufführung. Als Archie Rice reüssierte damals der Intendant, Schauspiellegende Gustaf Gründgens. „Ihr wollt bloß euren alten Gründgens wiederhaben“, kalauerte denn auch Wittenborn - wie er als tänzelnder, schmieriger Archie überhaupt die Zuschauer gern direkt in seine Gin-geschwängerten Gedanken einbezog.

Sein nostalgischer Vater Billy, ein weiterer früherer Showstar, der in schwarzer Lederhose und mit langem Haar herumspaziert und viel schimpft, meint ebenfalls das Publikum im Parkett und auf den Rängen, wenn er lamentiert: „Schon schade, was aus allen wird.“ Das ist wohl der Kernsatz der Aufführung, die statt des gebeutelten Nachkriegs-Großbritanniens die aktuelle Lage in Mitteleuropa meint.

Im Durcheinander aus Ballettmädel-Trio, Schlagerfetzen wie etwa „Du hast mich tausendmal belogen“, Zaubertricks und Gesangsnummern sowie den Familienproblemen der Rices, geht es immer wieder um Ausländerfeindlichkeit, dicke Gewinne und allgemeine Armut, Vereinsamung und Verflachung der Persönlichkeit.

Der Loser Archie erkennt sich und die Situation, stemmt sich aber nicht dagegen, sondern macht als Zyniker weiter. Liebe gibt es in seinem Leben nicht, er begnügt sich mit sexuellen Anspielungen. „Ich bin wie alle. Ich bin wie ihr da unten“, ruft er den Zuschauern entgegen.

Diese Sicht auf die Welt präsentiert Marthaler in seiner üblichen morbiden Ästhetik - zum Teil sehr unterhaltsam. Doch am Ende muss man wohl viel Sinn für Atmosphäre mitbringen, um sich bei der allgemein gehaltenen Botschaft berührt zu fühlen.