Große Gefühle Die Liebe der „Anna Karenina“ als Ballett
München (dpa) - „Anna Karenina“, das ist Sehnsucht nach Romantik, alles verzehrende Liebe und gleichzeitig größtes Leid. Als sich die gut situierte Beamten-Gattin in den Grafen Alexeji Wronski verliebt, schwebt sie im siebten Himmel, denn die Gefühle zu ihrem Ehemann sind längst erkaltet.
Doch die Erfüllung bleibt Anna auch mit Wronski verwehrt. Die leidenschaftliche Affäre beschert ihr Glückseligkeit und gleichzeitig schlimmste Qualen bis hin zum Tod. Das Bayerische Staatsballett hat Leo Tolstois Roman aus dem zaristischen Russland auf die Bühne geholt in einer eindrucksvollen Adaption von Christian Spuck, Direktor des Balletts Zürich. Am Sonntagabend war Deutschlandpremiere im Nationaltheater in München.
Die Russin Ksenia Ryzhkova, erste Solistin beim Staatsballett, verleiht der tragischen Figur der Anna eine starke Ausstrahlung, leichtfüßig getanzt mit starken Emotionen. Gefangen und mechanisch in ihrer Ehe mit ihrem Gatten (Erik Murzagaliyev), aufgeregt und frisch verliebt mit Wronski und am Ende voller Schmerz. Die Familie und vor allem ihr Sohn - verloren. Ebenso Freunde und Bekannte aus der feinen Petersburger Gesellschaft, die sie als Ehebrecherin brandmarken und sich empört abwenden. Matthew Golding gibt den eitlen Wronski, während Laurretta Summerscales die unschuldige Kitty tanzt. Ihrem glühenden Verehrer Konstantin Lewin (Jonah Cook) bereitet sie größten Kummer, als sie ihn für den Grafen zurückweist, woraufhin der enttäuschte junge Mann auf sein einsames Landgut flieht.
Spuck widmet sich in seiner 2014 erstmals in Zürich gezeigten Interpretation des Romans vor allem der Liebe und konzentriert sich auf die drei Paare: Anna und Wronski, Kitty und Lewin sowie Dolly und Stiwa, den Bruder Annas, der notorisch den Dienstmädchen nachstellt. Ein klarer Fall von Ehebruch, aber was bei Anna als schlimme Sünde verurteilt wird, wird bei ihm hingenommen. „Mich hat beeindruckt, wie eine Frau mit ihrer Liebe nicht nur an der Gesellschaft scheitert, sondern auch an sich selbst verloren geht“, sagt Spuck. Die meisten Ballettadaptionen erschöpften sich meist in der Darstellung eines Eifersuchtsdramas zwischen einer Frau und zwei Männern. „Aber in dem Stoff steckt sicher viel mehr.“
Passend dazu die Musik. „Sie muss Unsichtbares sichtbar machen und Emotionen wortlos unterstreichen. Wenn ich die Musik höre, muss ich sofort verstehen, was auf der Bühne passiert.“ Das gelingt Spuck. Den Takt gibt gleich zu Beginn Martin Donner mit einer Soundcollage vor - Züge, die über Gleise rattern. Ein Motiv, das sich durch das Stück zieht und auch im Roman eine schicksalhafte Rolle spielt.
Der Großteil der Musik unter Leitung von Gastdirigent Robertas Servenikas stammt von Sergej Rachmaninow, mal romantisch und sehnsuchtsvoll, mal fröhlich, aber mit melancholischem und oft bedrohlichem Unterton. Im Kontrast dazu die eher avantgardistischen Klängen des Polen Witold Lutoslawski sowie einzelne Stücke von Josef Bardanashvili und Sulkhan Tsintsadze. Wunderbar getanzt ist auch der Auftritt der Landarbeiter - zum rhythmischen Klang von Sensen, die mit scharfer Klinge durchs Gras sausen.
Angesiedelt ist das Ballett in einem Ballsaal mit schwarzen Wänden. Mit Hilfe von riesigen Leintüchern und schwarz-weißen Filmsequenzen verwandelt sich der Raum, zur italienischen Landschaft, zu den Weiten Russlands und immer wieder zum Bahnhof, an dem Züge vorbeirattern, die das Schicksal der unglücklichen Anna letztlich besiegeln werden.