Ein Muslim wird Co-Leiter der Passionsspiele

Oberammergau (dpa) - In der Kantine des Oberammergauers Passionstheaters hängt ein Foto von einer Massenszene der Passionsspiele aus dem Jahr 2000. „Da schaut er links über den Käfig drüber“, sagt der Regisseur Christian Stückl, der seit den Passionsspielen von 1990 Spielleiter ist.

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Er - das ist der heute 26 Jahre alte Abdullah Kenan Karaca. Auf dem Foto ist er elf Jahre alt. Es hält seine erste Begegnung mit dem Theater fest.

„Ich wusste ja gar nicht, wer das ist und was er da macht“, sagt Karaca über seine erste Begegnung mit Stückl. Aber er war fasziniert von der Arbeit - und kurze Zeit später stand er selbst auf der Bühne. „Ich habe ihm gesagt: Auch türkische Buam lassen sich die Haare wachsen“, erinnert Stückl sich. Nur Karacas Vater musste noch überredet werden, bevor sein Sohn bei dem christlichen Spektakel, der Aufführung der Leidensgeschichte Jesu, mitmachen durfte. Karaca und sein Vater sind Muslime.

Heute, 15 Jahre später, darf Karaca nicht nur als Statist auf der Bühne stehen - er wird die kommenden Passionsspiele 2020 sogar gemeinsam mit Stückl leiten. Der Oberammergauer Gemeinderat hat dem Leitungsteam seinen Segen für die Inszenierung gegeben - mit erstaunlich wenig Wirbel. Dabei ist ein Muslim in der Leitung schon etwas Besonderes. „Wenn der Opa noch gelebt hätte, der hätte die Hände über'm Kopf zusammengeschlagen“, sagt Stückl und lacht. Karaca hat nach der positiven Ratsentscheidung erstmal aufgeatmet.

Der junge Regisseur sagt, er habe schon früh gemerkt, dass das Theater seine berufliche Heimat ist. Zwar begann er auf Drängen seines Vaters nach dem Abitur ein Germanistik-Studium in der Türkei und hatte dort schnell die Aussicht auf eine Professur. „Aber ich sah mich mit 50 Jahren auf einem Balkon sitzen und denken: „Ich hätte was anderes machen sollen.““

Und so machte er etwas anderes und stand eines Tages in Stückls Münchner Volkstheater auf der Matte, wo er Assistent wurde. Heute trennt ihn nur noch eine letzte Inszenierung und seine Bachelorarbeit von seinem Abschluss an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Danach soll er Hausregisseur am Volkstheater werden.

Und 2020 dann die große Herausforderung: Als Muslim inszeniert er die traditionsreichen Passionsspiele mit, die auf ein Gelübde im Jahr 1633 zurückgehen. Damals grassierte überall im Land die Pest. Die Bewohner des oberbayerischen Dorfes am Alpenrand versprachen, regelmäßig ein Spiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi aufzuführen, sollten sie fortan von der Seuche verschont bleiben. Der Überlieferung nach starb von da an kein Einheimischer mehr an der Pest.

Er kenne sich gut aus mit der Bibel, sagt der gläubige Muslim Karaca. „Als Oberammergauer wird man da in Hamburg oft gefragt“, sagt er. Wie genau er an die Geschichte herangehen will, wisse er noch nicht. Aber sein Ziel kennt er: „annähernd das Gefühl zu vermitteln, das ich als Kind hatte“.

Im vergangenen Jahr hat Karaca schon das Weihnachtsfest bei Stückl gefeiert - inklusive Kirchenbesuch. Er habe sich die ganze Zeit gefragt, wie ein katholischer Gottesdienst auf Karaca wirke, sagte Stückl. „Aber seine Reaktion war dann viel nüchterner, als ich gedacht hätte: Bei uns redet der ähnliches Zeug und einen Klingelbeutel gibt es da auch.“