Hinreißende Ballett-Premiere: Schläpfer tanzt den Mahler
Der Düsseldorfer Ballettdirektor zeigte am Samstag eine neue herausragende Choreographie mit viel Ironie.
Düsseldorf. Wenn Martin Schläpfer ein neues Werk anfasst, sucht er eine Musik, die ihm eine Umgebung bietet. Eine konkrete Geschichte braucht er nicht und wenn er denn eine erzählt, dann ist es die des modernen getriebenen und kämpfenden Menschen. Dass er das Publikum mitreißt, es im Innersten berührt, ist die große Kunst des Düsseldorfer Ballettchefs, die er am Samstagabend mit seiner Choreographie von Gustav Mahlers 7. Sinfonie erneut so wunderbar entfaltete.
Eine ungeheure Rastlosigkeit prägt das Leben Gustav Mahlers (1860-1911). Er hegt höchste Ansprüche an seine Kompositionen, arbeitet unermüdlich und unerbittlich gegen sich und andere und seufzt am Ende doch. An keinem Haus wird der Dirigent und Operndirektor heimisch und muss erleben, dass auch ihn, den erfolgreichen Künstler, die Wucht des Judenhasses trifft. Seine von böser Vorahnung gelenkte Entscheidung, zum Katholizismus überzutreten, schützt ihn nicht. Mahler, der an einer chronischen Herzerkrankung leidet, erlebt sämtliche Schattierungen einer menschlichen Existenz. Seine Musik ist damit zwangsläufig eng verknüpft.
Schläpfer wiederum gelingt in seiner Uraufführung „7“ das Kunststück, die Dichte des Mahler’schen Seins und Schaffens lesbar zu machen und zugleich sein eigenes Gedankengewölbe zu errichten, ohne dass etwas durcheinander gerät. Im Mittelpunkt steht das Dilemma des Menschen, der sich in der Welt behaupten will und muss, den jedoch aus der Ferne die Erinnerung an ein Paradies schmerzlich bedrängt. Wie Schläpfer hier mit seinen großartigen Tänzern und dem begnadeten Bühnen- und Kostümbildner Florian Etti sein Vokabular nochmals erneuert und selbstbewusst das lauernde Pathos umschifft, ist eine Freude.
Zum ersten Mal lässt er seine Tänzer Stiefel tragen, keine Trikots, sondern Mäntel, Kleider und Hosen. Etti stieß bei seinen Recherchen zu den Kostümen auf die Modenschau „Rabbi Chic“ von Jean Paul Gaultier. 1993 hatte der Designer die traditionelle Kleidung orthodoxer Juden in Haute Couture verwandelt und eine reduzierte schwarze Kollektion entworfen. Sie inspirierte den Düsseldorfer Kostümbildner. Für die Tänzer eine merklich willkommene Abwechslung, denn sie verleiht ihren Bewegungen eine neue Farbe. Genussvoll stampfen und erzittern sie, dehnen und strecken sich, als könnten sie die Welt abschütteln.
Die auf der Bühne dominierenden Grau- und Schwarztöne, die Schattenseiten des Daseins werden von Schläpfer ebenso gestört, wie Gustav Mahler dem psychologischen Dunkel seiner Sinfonie den Übermut an die Seite stellte. Und auch das ist neu: Selten erlebte man so viel Ironie bei Schläpfer. Paare herzen und vergnügen sich, während vor der Tür das Böse wartet, sie spielen die Reise nach Jerusalem mit ihren traurigen Verlieren. Und binnen einer Sekunde verbannen zwei Tänzer mit einer humorvollen Geste jeden Anflug von Überinterpretation, wenn sich die Haare der Frau wie Scheitellocken um den Kopf ihres Partners legen.
Ein herausragendes Werk hat Schläpfer geschaffen, dessen Vielfalt die Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober musikalisch herrlich spiegeln. Das Publikum jubelte.