Im Kriegswahn: Leander Haußmanns „Woyzeck“ in Berlin
Berlin (dpa) - Der Mann ist am Ende. Von Kameraden und Vorgesetzten gedemütigt. Von der Frau betrogen. Von der Ärztin für dubiose medizinische Versuche missbraucht. Dann hört „Woyzeck“ eines Tages diese Stimmen.
Visionen und Albträume suchen ihn heim.
Film- und Theaterregisseur Leander Haußmann („Sonnenallee“, „Hai-Alarm am Müggelsee“) inszeniert Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ als Antikriegsstück mit tragischem Ausgang.
Haußmann lässt bei der gefeierten Premiere im Berliner Ensemble am Samstagabend Soldaten in Tarnuniformen und mit Maschinenpistolen im Anschlag aufmarschieren. Er zeigt, was Krieg, Verblendung, Not und Einsamkeit aus dem Menschen machen: In einer furiosen Vorstellung spielt Peter Miklusz den Woyzeck als verzweifelten, vom Wahn verfolgten Soldaten, dem keiner helfen kann und will.
Im Kopf des Zuschauers vermischen sich die Theaterbilder mit den Kriegsbildern, die jeden Abend in den Fernsehnachrichten zu sehen sind - und mit den Berichten über die von ihrem Einsatz in Krisengebieten traumatisierten Bundeswehr- oder US-Soldaten.
Wie soll der Mensch leben, worin einen Sinn finden in sozial und politisch schwierigen Zeiten? - das fragt Haußmann in seiner zwar mitunter plakativen, doch kraftvollen Inszenierung. Die Bühne gestaltete der Regisseur selbst - lange bewegen sich die Figuren im leeren, schwarzen Raum, in dem (Kunst)Nebel ihre Sinne verwirrt.
Später erzählen einzelne Requisiten ganze Geschichten: Der Kinderwagen des unehelichen Söhnchens von Woyzeck und seiner geliebten, aber untreuen Marie (Johanna Griebel). Die Zelte der Soldaten, vor denen Woyzeck wie vor einem undurchdringlichen Wald steht.
In einer traumwandlerischen Jahrmarktsszene schweben und reiten die Soldaten aus Woyzecks Truppe in Zeitlupe auf Luftballon-Tieren wie Delfin, Zebra und Löwe. Dabei wirken sie zum ersten Mal gelöst und glücklich. Da hat der Narr (Traute Hoess) aus der Geschichte schon längst eine Parabel über den Sinn des Lebens gemacht.
Am Ende stürzt sich Woyzeck im Wahn nackt auf seine Marie - in einem verzweifelten, tödlichen Liebesakt. Haußmann taucht die Bühne in blutrotes Licht. Seine Inszenierung des letzten, Fragment gebliebenen Büchner-Werks aus dem Jahr 1836/37 lebt von ihren starken Bildern. Woyzeck ist Opfer und Täter zugleich. Das richtige Stück zur richtigen Zeit.
Auch am Deutschen Theater Berlin ist in dieser Spielzeit eine „Woyzeck“-Inszenierung (Premiere 3. Oktober) zu sehen. „Sebastian Hartmann entwickelt mit einer Schauspielerin, einem Schauspieler und einem Musiker, die alle Rollen des Stücks zusammen erzählen werden, einen eigenen Zugriff auf diese geheimnisvolle Geschichte“, kündigte das Theater an. Auf der Bühnen werden Benjamin Lillie und Katrin Wichmann stehen.