Musikalisches Schattenspiel eröffnet Kampnagel-Sommerfestival
Hamburg (dpa) - In der Mitte der Bühne steht ein Rondell mit vier Säulen. Im Kreis sitzen die Musiker vom Hamburger Kaiser Quartett, ergänzt um Flöte und Horn.
Links von ihnen am Piano: der kanadische Komponist Chilly Gonzales, diesmal nicht im üblichen Bademantel, sondern mit schwarzer Hose, schwarzer Weste und weißem Hemd. Er beginnt mit dem musikalischen Thema des Abends: „The Shadow“ nach dem Märchen „Der Schatten“ von Hans Christian Andersen. Hell und fröhlich die Melodie für den Gelehrten, dunkel und düster die Melodie für seinen Schatten, der in seine Rolle schlüpfen will. Plötzlich zaubert ein Schauspieler mit einer Taschenlampe einen Schatten auf die links und rechts aufgestellten Leinwände, der sich selbstständig macht.
Die umjubelte Uraufführung „The Shadow“ von Chilly Gonzales und dem kanadischen Regisseur Adam Traynor hat am Mittwochabend das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg eröffnet. In dem knapp zweistündigen Musical ohne Worte erzählen Darsteller vom Schauspiel Köln wie im Stummfilm in realen und geschickt inszenierten Schattenspiel-Szenen die Geschichte eines Gelehrten, der nach und nach von seinem eigenen Schatten beherrscht wird. In opulenten Kostümen des Hamburger Schneiders Bent Angelo Jensen alias Herr von Eden gibt Niklas Kohrt den naiven und gutmütigen Gelehrten, der sich von dem gewitzten Schatten (Melanie Kretschmann) vereinnahmen lässt. Am Ende buhlen beide um die Liebe der Prinzessin (Sabina Perry).
„Off-Theater ist over“, verkündet Festival-Leiter András Siebold im Programmheft. Was mal als periphere Abgrenzung „zum Einschlaftheater der städtischen Institutionen“ gemeint war, stehe heute im Zentrum. „Statt der zigsten Interpretation von „Romeo und Julia“ wollen wir das Leben selbst auf die Bühne holen“, sagt der 38-Jährige, der im zweiten Jahr das älteste und größte spartenübergreifende Festival in Europa leitet. Bis zum 24. August sind unter anderem vier Uraufführungen sowie sechs Europa- und Deutschlandpremieren zu sehen. Dabei arbeiten Choreografen mit Popmusikern und Modemacherinnen zusammen, Musiker mit Filmregisseuren und bildenden Künstlern oder Theaterleute nehmen das Kino als Vorlage.
„Wir haben Autoren eingeladen, die eigene Stücke schreiben und ihre eigenen Erfahrungen auf die Bühne bringen“, sagte Siebold. Als Beispiel nannte er den iranischen Regisseur Amir Reza Koohestani, der in „Timeloss“ die Trennung eines Liebespaares reflektiert. Oder den libanesischen Theatermacher Rabih Mroué, der in „Riding On A Cloud“ seinen Bruder zeigt, der in den Wirren des libanesischen Bürgerkrieges sein Sprachvermögen verlor. Der argentinische Theatermacher Mariano Pensotti präsentiert ein vielschichtiges Porträt von vier Filmemachern. Künstler wie Rimini Protokoll, die mit ihrer Installation „Situation Rooms“ vertreten sind, haben den Theaterbegriff schon lange um Elemente der bildenden Kunst erweitert.
Zeitgenössischen Tanz zeigt die in Ungarn geborene Choreografin Eszter Salamon mit ihrem neuen Stück, für das sie 100 Jahre Kriegsgeschichte in Bezug auf Tänze recherchiert hat. Der britische Choreograf Michael Clark kombiniert klassisches Ballett mit Popmusik. Mit einem Konzert von Selig-Sänger Jan Plewka wurde am Mittwochabend auch das „Kanalspielhaus Flora“ der Gruppe Baltic Raw eröffnet, das an das 25-jährige Bestehen der besetzen Roten Flora erinnern soll. Zehn Tage lang bespielt der niederländische Künstler Dries Verhoeven eine gläserne Vitrine in der Hamburger Fußgängerzone.
Und zu einer dreitägigen Konferenz über Sexarbeit sind neben Künstlerinnen und Künstlern auch internationale Theoretiker eingeladen.