Meister der Selbstentblößung - Gert Voss ist tot
Wien (dpa) - „Er ist ein gefährlicher, nackter Schauspieler, ein unheimlicher Clown. Ein wilder Stier, aus dem Käfig ausgebrochen in die Theaterwelt.“ - So hat der Regisseur George Tabori einst den Schauspieler Gert Voss beschrieben.
Kraft, Intensität, Instinkt, Leidenschaft haben Voss auf den deutschsprachigen Bühnen zu einer einzigartigen, vielfach umjubelten Karriere getragen.
Er hat viele großen Rollen gespielt, war König und Clown, tobte, litt und weinte wie kein Zweiter. Die Kritiker feierten ihn als den „gewaltigsten deutschen Schauspieler“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“). Die britische Tageszeitung „The Times“ kürte ihn 1995 sogar zum besten Schauspieler Europas.
Jetzt ist Voss im Alter von 72 Jahren in Wien gestorben. Er erlag am Sonntag einer kurzen schweren Krankheit, wie das Burgtheater mitteilte. Die Wiener „Burg“ war seit fast 30 Jahren seine künstlerische Heimat.
Seine Rollen lesen sich wie das „Who is Who“ im klassischen Theaterleben: Richard III., Wallenstein, König Lear, Mephisto, Othello. „Ich will Geschichten erzählen“, hat Voss zu seinem 70. Geburtstag eine seiner Triebfedern beschrieben.
Mit seiner charakteristischen leicht rauen, eindringlichen Stimme und einem Körper, den er jeder Rolle anpasste, lotete er alle Nuancen einer Figur aus: Mal bewegte er sich, als Othello, geschmeidig wie eine Raubkatze über die Bühne, mal war er, als König Lear, ganz in Schmerz aufgelöster alter Mann, oder, in „Maß für Maß“, ein nicht greifbarer, unberechenbarer Vincentino.
Die Liebe zum Schauspiel entdeckte er schon als Kind. Seine Familie lebte damals in China, sein Vater war dort Kaufmann. Oft besuchte er die Kinopaläste Shanghais. Als seine Familie 1947 nach Deutschland zurückkehrte, habe er während der Überfahrt an Bord zahllose Filme angeschaut, erinnerte er sich in seiner 2011 erschienenen Autobiografie „Ich bin kein Papagei“.
Als Student trat Voss im Kirchenkabarett und im Tübinger Studententheater auf. Als ihm bei einer Eignungsprüfung Talent bescheinigt wurde, entschied er sich gegen das Studium und für privaten Schauspielunterricht.
Nach Stationen auf Bühnen in Konstanz, Braunschweig und München stand Voss ab 1974 zusammen mit Intendant Claus Peymann in Stuttgart im Rampenlicht. Beide gingen 1979 nach Bochum, wo sie mit großen Inszenierungen erneut ein Kapitel deutscher Theatergeschichte schrieben.
Ab 1986 wühlte das Gespann Peymann-Voss das Wiener Burgtheater auf. Die Gunst des Publikums eroberte Voss als Richard III.. Daraus wurde „sofort eine Leidenschaft, eine Leidenschaft zwischen dem Theaterkönig und dem Wiener Publikum“, würdigte ihn die jetzige Interims-Intendantin des Burgtheaters, Karin Bergmann. „Der Spieler-Titan war im Theater-Olymp angekommen.“
Voss' Vision: „Das Schönste wäre, dass man so spielt, dass der Zuschauer noch die ganze Nacht davon träumt oder noch Tage davon erzählt und sich damit beschäftigt.“ Dabei hatte er selbst auch ein durchaus distanziertes Verhältnis zum Theaterbetrieb. „Die Dummheit am Theater ist gewaltig“, resümierte er, „die Eitelkeit, auch die Selbstgenügsamkeit.“
Seine Herangehensweise an die Rollen war eher praktisch. „Ich bin kein theorieverliebter Mensch. Ich merke erst beim Probieren, wie gut ein Stück ist, ich muss tun.“
Er hat es in einer Art und Weise getan, die den ehemaligen Co-Direktor des Burgtheaters, Hermann Beil, faszinierte: „Voss verwandelt die Bühne, indem er um sein Leben spielt. Er geht aufs Ganze, und weil er stets aufs Ganze geht, bringt er immer etwas anderes mit auf die Bühne.“