Mozarts „Don Giovanni“ in Hamburg frenetisch bejubelt

Hamburg (dpa) - Don Giovanni ist ein Adliger, der liebt und verführt, mordet und trinkt. Seiner grenzenlosen Begierde ordnet dieser leidenschaftliche Lebemann alles unter.

Der 29-jährige Antú Romero Nunes hat Mozarts „Oper aller Opern“ jetzt als rasantes Poptheater am Thalia Theater in Hamburg inszeniert. Mit Erfolg: Der tosende Applaus der rund 1000 Premierenzuschauer war am Freitagabend verdienter Lohn für den Jung-Regisseur und seine Schauspielerriege.

Munter, humorvoll und vor allem ohne Scheu vor Grenzen kommt die Aufführung von „Don Giovanni. Die letzte Party“ über weite Strecken daher. Sei es, wenn die Schauspieler mit teils dünnen Stimmchen ursprünglich bombastische Opernarien vor sich hinträllern. Sei es, wenn im Laufe des Stücks dutzende Zuschauer zu aktiven Mitspielern und -sängern werden. Nunes und seinem kongenialen musikalischen Leiter Johannes Hofmann geht es in erster Linie um den Spaß am Spiel.

„Mit einem Wagner würde ich so etwas hinterfragen, aber hier haben wir gesagt: Spielt die Lieder. Spielt sie“, erklärte der Regisseur im Vorfeld der Premiere. Und Hofmann ergänzte: „Man muss Menschen die Angst davor nehmen, intellektuell großartige Musik zu machen.“

Das minimalistische, vor allem auf Lichteffekte setzende Bühnenbild von Florian Lösche unterstützt diese Absicht hervorragend. Den Zuschauern lässt es Raum für Assoziationen. Und der für eine siebenköpfige Band mit Gitarren, Bass und Saxofon arrangierten Musik lässt es Raum zur Entfaltung.

„Theater, wo die Musik eine entscheidende Rolle spielt“, nennen Nunes und Hofmann dies. Mit diesem scheinbar simplen Konzept gelingt es ihnen, Mozarts Musik aus ihrem manchmal elitären Dunstkreis dorthin zurückzuholen, wo sie herstammt und hingehört: Auf die Lippen und ins Ohr des Volkes. Angesichts von Zuhörern, die noch beim Verlassen des Saals freudig vor sich hinsummen, kann dieses Experiment zweifellos als gelungen bezeichnet werden.

Bei aller Ausgelassenheit vergisst Nunes nicht die ernsten Zwischentöne: Wenn Don Giovanni (spielstark: Sebastian Zimmler) ins Publikum schreit, die Ehe sei doch bloß eine persönliche Festung, in der jeder allein sei, wird klar, dass es um grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens geht. „Wie wären wir alle aufgehoben, wenn sich alle liebten?“ Der große Verführer meint dies an diesem Abend ganz wörtlich. Passend erweisen sich dabei auch die Kostüme von Annabelle Witt.

Die Scherben von Don Giovannis Ausschweifungen muss dessen Diener Leporello zusammenkehren. Mirco Kreibich überragt dabei als humorvoll deprimierter Frauentröster. „Don Giovanni hat den schönen Teil, Leporello muss aufräumen“, erläutert Nunes. Bei 2065 Frauen eine Aufgabe, die den Diener mit dem guten Herzen zur Verzweiflung treibt.

Für vorangegangene Arbeiten wurde Nunes von der Zeitschrift „Theater heute“ bereits zum Nachwuchsregisseur des Jahres 2010 gekürt. Dem Hamburger Thalia Theater hatte der gebürtige Tübinger schon im vergangenen Jahr mit seiner Version von Tankred Dorsts „Merlin“ einen Publikumserfolg beschert. Angesichts der heutigen Allgegenwart von Sex in Werbung, Film und Internet stellt sich bei seiner neuen Inszenierung lediglich die Frage, wie viel Sprengkraft und gesellschaftliche Aktualität diesem Don Giovanni noch innewohnt. Die Antwort darauf bleibt dem Zuschauer selbst überlassen.