Passionsspiele: Oberammergau bei Nacht
Premiere: Das Passionsspiel geht neue Wege - Man spielt abends, die Bühne hat ein Dach.
Oberammergau. Es wurde geputzt, gehämmert und gestrichen: Ein Dorf macht sich schön für ein Spektakel, das es nur alle zehn Jahre gibt und weltweit Beachtung findet. Am Samstag haben die Oberammergauer Passionsspiele Premiere. Die Hälfte der gut 5000 Einwohner in dem oberbayerischen Ferienort ist auf oder hinter der Bühne aktiv. Seit dem 18. April 2009 lassen die Darsteller Haare und Bärte wachsen.
Gerade hat Spielleiter Christian Stückl, ansonsten Intendant des Münchner Volkstheaters, 5000 Wolldecken geordert. Es ist kühl in Bayern. Und die Aufführungen dauern diesmal bis fast 23Uhr - eine Neuerung, die der umtriebige Regisseur in einem Bürgerentscheid durchsetzte, um das Hereinbrechen der Nacht auf der Bühne dramaturgisch nutzen zu können. Die Inhaber der Souvenirshops hatten vehement dagegen protestiert, weil so das Flanieren der Besucher nach der Vorstellung entfällt.
Noch eine Neuerung gibt es 2010: Bei Regen oder Gewitter schieben die Techniker per Knopfdruck das fahrbare Glasdach über die Bühne - für viele Oberammergauer ein Tabubruch, denn die Passion wurde immer auf nach oben offener Bühne gespielt. "Auch ich will die Bühne an möglichst vielen Tagen offen lassen", sagt Stückl, der zum dritten Mal das Passionsspiel inszeniert. "Aber warum sollen wir bei Sauwetter mit durchnässten Kostümen spielen, wenn es die Möglichkeit zum Schutz gibt?" Im Übrigen sei das Dach transparent, der Blick in den Himmel bleibe frei, die Inszenierung leide nicht.
Tradition wird groß geschrieben in dem Dorf nahe Garmisch-Partenkirchen. So stimmte der Gemeinderat mit deutlicher Mehrheit gegen eine Übertragung der Passionsspiele im Fernsehen. Stückl kann sich eine TV-Aufzeichnung durchaus vorstellen, aber zuerst müssten alle Mitspieler befragt werden - zu spät für die Aufführungen in diesem Jahr. Denn die Einheimischen wollen mitreden, wenn es um ihre Passion geht. Bei allen wichtigen Fragen rund ums Spiel gibt es Bürgerentscheide.
Neben dem künstlerischen Aspekt ist die Passion ein gigantisches wirtschaftliches Unternehmen. Die Gemeinde als Veranstalter braucht eine mindestens 85-prozentige Auslastung der rund 5000 Sitzplätze, um den angepeilten Reingewinn zu erzielen. Doch wegen der Weltwirtschaftskrise haben vor allem viele US-Amerikaner ihre gebuchten Übernachtungspakete storniert. Unter der Hand ist von bis zu 100000 zurückgegebenen Karten die Rede.
Die beiden Jesus-Darsteller Frederik Mayet (30) und Andreas Richter (33) - alle Hauptrollen sind doppelt besetzt - haben sich ein Jahr lang intensiv mit der Figur auseinandergesetzt. Christus wäre heute einer, "der es sich von frühester Kindheit an nicht leicht machen würde, weil er alles hinterfragt, alles besser weiß", sagte Richter, Psychologe und junger Vater, in einem Interview. Zugleich attestierte er Jesus Attraktivität und Sex-Appeal.