Pop-Oper „The End“ auf Kampnagel in Hamburg
Hamburg (dpa) - Zum Schluss gelingt ihr doch noch die Selbstauslöschung. Im Blitzlichtgewitter und begleitet von wummernden Bässen löst sich die virtuelle Pixel-Prinzessin auf. Immer grobkörniger wird die dreidimensionale Projektion des Mädchens mit den blauen Haaren und den manga-typischen großen Augen.
Dann ist sie ganz verschwunden.
Der Selbstmord eines Popstars, der nicht mehr weitertanzen will? Vielleicht. Auf jeden Fall entzieht sich Hatsune Miku in der Deutschlandpremiere der Oper „The End“ am Donnerstagabend in der Hamburger Kampnagel-Fabrik zum Schluss den Blicken ihres Publikums. Zurück bleibt eine komplett leere Bühne. Vier Leinwände bildeten das virtuelle Gefängnis des Bühnenstars. Als dreidimensionale Projektion suchte das ewig 16-jährige Mädchen hier einen Ausweg, saß alleine in seinem virtuellen Appartement, flog mit Drachen durch die Luft - und führte lange Debatten mit einem weißen Kaninchen. „Um ein Mensch zu werden, muss ich auch sterben können“, glaubt der traurige Star.
Immer wieder blickt das animierte Gesicht mit großen Augen direkt ins Publikum und verwickelt die Zuschauer in eine Diskussion darüber, was das Menschsein ausmacht. Die Möglichkeit, sich zu verändern und der Tod werden im Kosmos des virtuellen Popstars zu einem unerreichbaren Traum der Vermenschlichung.
Programmiert und hochgeladen wurde die Sängerin bereits 2007 von einer japanischen IT-Firma. Seitdem zieht Hatsune Miku nicht nur in Japan ein Millionenpublikum in ihren Bann. Auch der Komponist von „The End“ ist ein Fan des künstlichen Geschöpfs. Auf der Bühne sitzt er unsichtbar in einer Hütte aus flimmernden Pixelwänden und begleitet sein Idol mit einem Klangteppich aus hämmernden Techno-Klängen und stellenweise zarten, leisen Tönen. Keichiiro Shibuya ist einer der bekanntesten jungen Komponisten für Klavier und Elektronik-Musik in Japan. Sehen kann er die einsame Prinzessin während der musikalischen Performance nicht.
Hatsune Miku bleibt alleine in ihrem Pixel-Gefängnis, sinniert über Telefonanrufe bei Freunden und die Sehnsucht nach einem realen Körper, den sie nie besitzen wird. Anrührend ist dieses moderne Märchen, das an die Geschichte der „Kleinen Meerjungfrau“ und Mythen von Robotern erinnert, die lieber ein Mensch sein wollen. Ganz zum Schluss endet der Abend doch noch hoffnungsvoll. Nachdem sie auf der Bühne verschwunden ist, hören wir immer noch Hatsunes Stimme. „Seid ihr noch da?“, fragt sie, als ein virtuelles Wesen, das dem großen Publikum den Rücken zugekehrt hat. Und in der Logik des Märchens vielleicht woanders ein neues Leben führt.