Dokumentarfilm Radikales Straßentheater gegen den Terror
Wie eine Gruppe junger Muslime für eine Reform des Islam kämpft, erzählt der ARD-Dokumentarfilm „Glaubenskrieger“.
Düsseldorf. Mitten in der Essener Fußgängerzone knien zwei junge Männer in roten Overalls auf dem Asphalt. Sie werden bedroht von zwei schwarz verhüllten Männern, die mit Messer und Pistole in den Händen hinter ihnen stehen. Die Szene sieht aus wie ein Hinrichtungs-video. „Wir müssen aufwachen. Etwas dagegen tun“, fordert ein Fünfter die schweigend zuschauenden Passanten eindringlich auf. Am Ende fällt ein Schuss, das Opfer bricht zusammen. Der Islamische Staat achte auf die mediale Ästhetik, um das Ganze wie einen Spielfilm aussehen zu lassen, erläutert Hassan.
Der 26-Jährige studiert an der Uni Düsseldorf Medienwissenschaften. Sein Dozent atmet schwer durch, nachdem Hassan im Seminar das Video vorgeführt hat. Die Essener Aktion sei „sehr radikal“ und „idealistisch“. Hassan ist mit seinem Bruder Muhammed (28) die treibende Kraft von „12th MemoRise“, einer Gruppe junger Muslime, die mit öffentlichen Inszenierungen Zeichen setzen will gegen die Vereinnahmung des Islam durch extremistische Kräfte. Der Dokumentarfilm „Glaubenskrieger“ begleitet die Gruppe über mehrere Monate hinweg.
Er ist auch ein Lehrstück über die Bedeutung der neuen Medien und Netzwerke. Das Video von der Essener Aktion wurde innerhalb von vier Tagen bei Youtube 120 000 Mal abgerufen. Die Gruppe fühlt sich ermuntert, Hassan mietet im Düsseldorfer Gewerbegebiet einen Gruppenraum, weitere Aktionen sind geplant. Bald wird es immer ungemütlicher, bei Facebook häufen sich Beschimpfungen. Und als sich die Gruppe mit islamischen Dachverbänden anlegt und ihre Mitglieder in einer im Netz verbreiteten Predigt als Abtrünnige gebrandmarkt werden, steht „12th MemoRise“ vor einer Zerreißprobe.
Die Drohungen lösen einen Streit über das weitere Vorgehen aus. „Glaubenskrieger“ gewann 2016 den Dokumentarfilm-Wettbewerb „Top of the Docs“ der ARD. Zu einem bestimmten Thema können Produzenten Konzepte einreichen, im vorigen Jahr lautete es etwas nebulös „Deutschland durchgeknallt. . .“. Gleich sechs ARD-Sender unter der Federführung des WDR finanzierten schließlich das Projekt der Münchener Neos Film. Die Aktionen der Gruppe bleiben drastisch: Einmal wird der Verkauf von Frauen und Kindern auf einem Sklavenmarkt inszeniert, ein anderes Mal das Verteilen des Korans durch Salafisten — nur, dass die Schauspieler mit blutverschmierten Händen agieren.
Die Reden, die Hassan und andere dabei schwingen, sind plakativ und pathetisch, Diskussionen kommen auf der Straße offenbar kaum zustande (oder werden nicht dokumentiert). Und dass Hassan und Muhammed ernsthaft glauben, am Rande rechter Demos in Duisburg und Berlin mit den Teilnehmern über den Islam ins Gespräch kommen zu können, wirkt etwas gestellt. Aber ihr mutiges, idealistisches Engagement steht außer Frage.
Autor Till Schauder („The Iran Job“) ist immer dicht dran an den jungen Kämpfern für einen aufgeklärten Islam. „Glaubenskrieger“ ist deshalb ein dynamischer, manchmal etwas holpriger Film, der sich immer wieder Zeit nimmt für die Familien, ihren Alltag und ihre Ansichten. Der lebhafte, charmante, dann wieder todernste und nachdenkliche Hassan, ein Sohn irakischer Einwanderer, steht im Zentrum.
Aber da ist auch noch Ahmed, der als ältester Sohn den Haushalt schmeißt, während seine Mutter arbeitet und sein Vater im Irak gegen den IS kämpft. Oder Araik, die ihre Skepsis gegen die Aktionen überwindet und bald einige Freundinnen mitbringt. Araiks Mutter berichtet als Reporterin für den irakischen Sender Karbala TV über die Aktionen der Gruppe. Die Frauen sind verschleiert, die Männer beten — gemeinsam fordern sie, den Islam zu reformieren. „Wir müssen den Islam mit deutscher Identität aufbauen, einen Islam aus dieser Gesellschaft heraus, um mit euch friedlich zusammen leben zu können“, ruft Hassan.
“ „Glaubenskrieger“; ARD, 19. Juli, 22.45 Uhr