Schauspiel Düsseldorf: Tolstoi auf das Eis geführt
Meyer bringt „Anna Karenina“ auf die Bühne.
Düsseldorf. Beschwingt gleiten Mitglieder der Petersburger Gesellschaft über die spiegelglatte Fläche einer Eiskunsthalle. Softe Musik erklingt. Champagner und Austern werden serviert. Im Hintergrund schneit es. Jeder ist erfüllt mit seiner eigenen kleinen Geschichte, brabbelt vor sich hin, doch keiner ahnt, dass sie allesamt einen bitteren Sturz erleben werden.
Regisseurin Petra Luisa Meyer und Hans Nadolny wählen aus dem achtteiligen Roman Tolstois drei Paare aus, deren Weg ins Unglück wir Schritt für Schritt miterleben. Im Zentrum der hohe Staatsbeamte Karenin (Götz Schulte) und seine attraktive Frau Anna (Anna Schudt).
Deren Bruder Stiwa (Moritz Führmann) tröstet sich darüber, dass seine Frau Dolly (Esther Hausmann) nach dem fünften Kind nicht mehr so attraktiv ist, in den Armen anderer und wirft das Geld zum Fenster raus. Dollys Schwester Kitty (Xenia Snagowski) ist unsterblich in den Frauenheld Graf Wronskij (Michele Cuciuffo) verliebt. Als er sie kalt stehen lässt, heiratet sie enttäuscht den exzentrischen Gutsbesitzer Ljewin (Miguel A. Ostrowski) und zieht zu ihm aufs Land.
Meyer entwickelt auf einer sich ständig wandelnden Bühne eine geschickte Erzählhaltung zwischen Bericht, monologischer Selbstergründung und Dialog. Immer wieder verdichten sich die Gespräche, in denen es um Geld, Besitz, gesellschaftliche Anerkennung, Politik, Untreue und moralische Integrität geht, zu packenden Szenen, die ganz gegenwärtig wirken und in ihrer modernen Sprache der Welt Tolstois weit entwachsen sind.
Das zentrale Thema aber bleibt die Liebe. Was kann man von ihr erwarten? Die reiche Gräfin Wronskaja (hinreissende Anke Hartwig) hält sich junge Lover. Stiwa sucht sie bei wechselnden Geliebten. Dolly findet sie bei ihren Kindern. Ljewin glaubt an sie nur, solange er sie nicht hat. Einmal verheiratet, hält er die Ehe für einen Fehler. Kitty tröstet sich mit selbstgemachter Marmelade.
Am radikalsten ist Anna Karenina. Sie verlässt Mann und Sohn nach achtjähriger Ehe und stürzt sich Hals über Kopf in die Affäre mit Wronskij. Auch der kann sich ihrer Leidenschaft nicht entziehen. Sie vergessen die Welt um sich herum, brechen alle Tabus und gehen letztendlich aneinander zugrunde. Als Anna erkennt, dass sich die Liebe als permanent erlebter Zustand nicht halten lässt, wirft sie sich vor den Zug.
Die schauspielerische Leistung ist durchweg überzeugend. Jede Rolle entwickelt ihren eigenen Charakter mit nie ermüdender Spielfreude. Herausragend Anna Schudt und Götz Schulte, deren Ehekonflikt tief unter die Haut geht. Viel Beifall für einen langen Abend.