Theaterprojekt über Münchner NSU-Morde aufgeführt
München (dpa) - Vor knapp zweieinhalb Jahren fand die Neonazi-Zelle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ ihr gewaltsames Ende. Nun greifen die deutschen Theater das Thema auf.
„Der weiße Wolf“ am Schauspiel Frankfurt und „Rechtsmaterial“ am Staatstheater Karlsruhe wollen zeigen, wie es in der Terrorzelle ausgesehen haben könnte. Christine Umpfenbach, deren Stück „Urteile“ am Donnerstag am Münchner Residenztheater uraufgeführt wurde, geht einen anderen Weg: Sie erzählt aus der Perspektive der beiden Münchner NSU-Opfer und ihrer Angehörigen; die Täter treten bei ihr gar nicht in Erscheinung.
Im August 2001 ermordeten die Terroristen den Lebensmittelhändler Habil Kilic in seinem Geschäft in München. Knapp vier Jahre später erschossen sie den aus Griechenland stammenden Theodoros Boulgarides in seinem Schlüsseldienst-Laden.
Auf einer weitgehend leeren Bühne, von deren Decke kopfüber ein Baum mit grünen Blättern herabhängt, spielen Gunther Eckes, Demet Gül und Paul Wolff-Plottegg in wechselnden Rollen Angehörige, Freunde und Kollegen der Opfer. Sie erzählen, was nach den Morden passierte, von den demütigenden Befragungen bei der Polizei: „Hatten Sie eine Lebensversicherung?“ - „Wussten Sie von seiner Geliebten?“ - „Sie hatten doch Eheprobleme?“ - „Mit wem haben Sie mit Drogen gehandelt?“ - Umpfenbach komponiert die bohrenden Fragen der Ermittler zu einer bedrohlichen Kakophonie.
Den Text montierten die Regisseurin und die Autorin Azar Mortazawi größtenteils aus Interviews mit den realen Angehörigen - aber auch mit einer Rechtsanwältin, einem Politiker und mit Journalisten, die über die Morde berichtet hatten, als noch nicht klar war, wer die Täter waren. Rund zwei Jahre lang hat Umpfenbach für das „dokumentarische Theaterprojekt“ recherchiert.
Die Geschichten machen deutlich, wie sehr Familien und Kollegen selbst Verdächtigungen ausgesetzt waren. Die Schwiegermutter von Habil Kilic erzählt, wie die Beamten eine DNA-Probe der Enkelin wollten: „Meine Enkelin fragte: Omi, was heißt denn DNA? Glauben die, dass ich meinen Papa umgebracht habe?“ Der Bruder von Theodoros Boulgarides erzählt, wie er selbst mit Spachteln das Blut aufkratzen musste, als der Tatort wieder freigegeben war.
An vielen Stellen zeigt sich, wie tief das Misstrauen gegen die Behörden sitzt: „Die Polizisten haben Kameras, die haben Satelliten, alles da“, sagt der Großmarkthändler, bei dem Kilic arbeitete. „Ich glaube, dass die sehen konnten, wer da reingegangen ist und wer da geschossen hat. Aber um die Leute ein bisschen zu beruhigen, machen sie diese Befragungen... und das klappt, uns können sie ja 20 Mal mitnehmen.“
An manchen Stellen spielt Umpfenbach direkt die Originaltöne der Interviews ein - und spätestens da drängt sich die Frage auf, warum diese Dokumentation eigentlich auf einer Theaterbühne stattfindet. Hätte es nicht auch ein Radiofeature oder ein Film sein können? Zwar mühen sich die Akteure, aus den Stimmen Charaktere zu machen - doch allzu oft klingt es eben nach Schauspielern, die Protokolle rezitieren.
Was kann Theater leisten, was Dokumentation, Reportagen, Untersuchungsausschüsse und Gerichtsverfahren nicht können? Im dem Karlsruher Stück „Rechtsmaterial“, zum Beispiel, verschränkten die Theatermacher Szenen aus dem Innenleben der Neonazi-Zelle mit einem Propagandastück aus dem Dritten Reich. Das klingt zunächst etwas verkopft, aber es gelingen eindruckvolle Bilder. Sie füllen die Lücke, die das Schweigen von Beate Zschäpe lässt, mit Imagination.
In Saal A 101 des Münchner Strafjustizzentrums wird seit 105 Tagen gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Terrorhelfer verhandelt. Dort lässt sich beobachten: Die Rekonstruktion der kaltblütigen Exekutionen, das Leid der Angehörigen, die Ignoranz und auch im Rückblick noch offensiv vorgetragene Selbstgerechtigkeit von Polizei und Verfassungsschützern. Dazu die mal mehr, mal weniger koketten Auftritte der schweigenden Angeklagten und die dumpfdreisten Verschleierungsversuche ihrer früheren Freunde aus der Neonazi-Szene. Wer in München ist und die Wahl hat, sollte ins Gericht gehen.