Uraufführung von NSU-Stück „Rechtsmaterial“
Karlsruhe (dpa) - Am Anfang sind Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch sehr weit weg: Das Stück „Rechtsmaterial“, das am Samstag seine Uraufführung am Staatstheater Karlsruhe hatte, beginnt in der Weimarer Republik, mit einer Diskussion zwischen national gesinnten Studenten.
Die beiden Studenten - ehemalige Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg - sind entsetzt über die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen. Und sie wollen etwas unternehmen: „Wenn du einen Gedanken richtig zu Ende denkst: Es kommt scharf Schießen dabei heraus!“.
Am Ende werden die Studenten zur Tat schreiten - sie werden zu Terroristen. Und im Hintergrund ist schon das Terror-Trio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu ahnen. Regisseur Jan-Christoph Gockel und der Autor Konstantin Küspert haben für ihr Stück über den NSU die Geschichte der Jenaer Neonazi-Terroristen mit dem Szenen aus dem Propagandastück „Schlageter“ des NS-Dichters Hanns Johst aus dem Jahr 1933 verwoben.
Beate Zschäpes erster Auftritt hat etwas Gespenstisches: Szenen aus einem Interview mit Jenaer Jugendlichen aus dem Jahr 1991 werden auf die Leinwand hinter der Bühne projiziert. In der Mitte sitzt, unverkennbar: die junge Beate Zschäpe. Anlass des Gesprächs ist die Eröffnung eines Jugendclubs, es geht um Freizeitmöglichkeiten der Jugendlichen in Jena. Zschäpe sagt nur wenig - und was sie sagt, ist schwer verständlich, wegen der Tonqualität und ihres Thüringer Akzents. Aber die Gestik, die Art und Weise, wie sie sich die Haare aus dem Gesicht streicht - all dass kommt einem sehr bekannt vor, wenn man Zschäpe eine Weile im Gerichtssaal beobachtet hat. Es ist ein Spiel mit dem Gruseln, aber es funktioniert.
Zur Uraufführung am Samstag in Baden-Württemberg kam nicht nur der türkische Botschafter in Berlin, sondern auch der mittlerweile pensionierte Leiter der Terrorismusabteilung der Bundesanwaltschaft, Rainer Griesbaum. Mit ihm hatten die Theatermacher bei ihren umfangreichen Recherchen gesprochen. Das Ensemble - mit den Schauspielern, die an der Entstehung des Textes beteiligt waren - hat sich auch den Prozess in München angeschaut. Die Beobachtungen dort finden sich im Stück wieder: Brillant die detaillierte Beschreibung, wie die schweigende Zschäpe im Gerichtssaal mit dem Mikrofon spielt.
Das Heikelste an einem NSU-Stück ist wahrscheinlich die Frage, wie man Zschäpe darstellt. Sophia Löffler versucht gar nicht erst, der echten Zschäpe ähnlich zu sein. Die Figur wird überzeichnet: Mal trägt sie ein Katzenkostüm, mal reitet sie in nationalerotischer Ekstase auf einem Koffer mit Hakenkreuz, zwischendurch trägt sie - wie im Gerichtssaal - ein Business-Kostüm, dann verkleidet sie sich als Paulchen Panther - die Comicfigur führt durch das zynische Bekennervideo der Neonazi-Gruppe.
Am nächsten kommt Löffler der echten Zschäpe wahrscheinlich, als sie aus dem öffentlich gewordenen Brief vorliest, den die Hauptangeklagte aus der Untersuchungshaft an einen Dortmunder Neonazi geschrieben hat. Da gibt sie der Schweigenden eine Stimme, schwankt zwischen Koketterie, Selbstmitleid und Trotz.
Auch das Bühnenbild von Julia Kurzweg findet überzeugende Lösungen, um den Bogen von den Rechtsterroristen der Weimarer Zeit in die 90er Jahre zu spannen. Männer in weißen Spurensicherungsanzügen malen den Grundriss der Zwickauer Wohnung auf den Bühnenboden.
Später sitzen die Figuren von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gemeinsam auf dem Sofa. Die beiden Uwes sind gerade von einer ihrer sogenannten Autoüberführungen zurückgekommen. Zschäpe hat gekocht - jene Rouladen von denen die wirkliche Zschäpe in dem Brief an den Dortmunder Neonazi schwärmt. Über die Morde sprechen die drei nicht, aber während sie auf dem Sofa sitzen und essen, zeichnen die Spurensicherer die Umrisse der Opfer auf den Boden.