Liebe und Verzweiflung: Ballett „Mythos“ in Karlsruhe
Karlsruhe (dpa) - Verlorene Liebe, bittere Eifersucht und grausame Rache - bei seiner Frühjahrspremiere setzt das Badische Staatstheater in Karlsruhe auf dramatische Stoffe.
Drei neue Kreationen wurden am Samstagabend uraufgeführt: Die Ballette „Der Fall M.“ von Reginaldo Oliveira, „Spiegelgleichnis“ von Jörg Mannes und „Orpheus“ von Tim Plegge ranken sich allesamt um das Thema „Mythos“. Das Publikum belohnte es mit langem Applaus für die Tänzer, die Choreographen und die gesamte Inszenierung.
Das erste Ausrufezeichen setzte das Stück „Der Fall M.“ von Choreograf Oliveira. In seiner ersten Auftragsarbeit für das Staatsballett Karlsruhe beleuchtet er, inspiriert vom Medea-Mythos, die Frage nach Schuld und Gerechtigkeit. Das Stück zeigt die Geschichte der Medea (Bruna Andrade), die von ihrem Angebeteten (Flavio Salamanka) für eine Andere verlassen wird - und dann aus verschmähter Liebe die gemeinsamen Kinder tötet.
In den intensiven Darbietungen der beiden Hauptfiguren kommen Gefühle der Kränkung und der Eifersucht zum Ausdruck. So etwa wenn Medea ihren Angebeteten umarmen will - und ins Leere greift. Wenn sie sich auf die Fußspitzen stellt und mit Anlauf in seine Arme springen will - und er sie fallen lässt. Auf der Bühne wird Liebe zu Wut, wenn die Verflossene ihren Mann mit Beinen und Armen in den Schwitzkasten nimmt und ihn so mit ihrer Liebe schier zu erdrücken scheint.
In Plegges Beitrag zum Ballettabend geht es um Erinnerung und Verlustangst. So setzt der gebürtige Berliner und John-Neumeier-Schüler in seiner neuesten Choreografie auf den Mythos „Orpheus“. Dessen große Liebe, die Nymphe Eurydike, stirbt tragisch und entschwindet ins Schattenreich. Orpheus misslingt es, sie aus dem Jenseits zu befreien - über diesen Verlust kommt er nicht hinweg.
Die männliche Hauptrolle ist in dem Ballett auf einen jüngeren Tänzer (Juliano Toscano) und einen älteren Schauspieler (Berthold Toetzke) aufgeteilt - sie zeigt den jungen und alten Orpheus. Letzterer lässt vor seinem geistigen Auge die Geschichte seiner verlorenen Liebe Revue passieren. Gleich zu Beginn des Stücks muss er mit Ansehen, wie seine Angebetete stirbt. Es regnet schwarze Blätter.
Bei Szenen wie dieser schaffen Filmprojektionen auf einer Leinwand eine zweite Erzählebene. Aufnahmen einer Wärmekamera färben sich von rot zu blau. Sie zeigen, wie das Leben allmählich aus dem Körper der Verflossenen entweicht. Zusammen mit Zeitlupenaufnahmen entsteht eine eindringliche Bilderfolge - parallel zum Tanz auf der Bühne.
In „Spiegelgleichnis“ sucht Mannes, Ballettdirektor an der Staatsoper Hannover und in Karlsruhe durch die Stücke „Liaisons dangereuses“ und „Das Bett der Giulia Farnese“ bekannt, nach dem Mythos als Gleichnis. Dabei spielen die Tänzer mit ihren Schatten, die auf einen überdimensionalen Würfel in der Mitte der Bühne geworfen werden. Ein Spiegelkabinett symbolisiert das vergebliche Streben des Menschen, die Welt und sich selbst zu ergründen. Allein mit ihrem Spiegelbild verlieben sich die Tänzer wie Narziss in ihr Konterfei - eine Liebe, die bisweilen nicht weniger schmerzvoll sein kann als die zu einem anderen Menschen.