Wiener Kostümfundus: Handwerkskunst wie zu Kaisers Zeiten

In dem hektargroßen Kostümfundus von „Art for Art “ reihen sich Blusen, Kleider und Anzüge dicht aneinander.

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Wien. Sie ist die kreative Seele im riesigen Kostümfundus der österreichischen Bundestheater. Elisabeth Binder-Neururer leitet die Kostümwerkstätten. Mehr als 250 000 Kostüme aus den vergangenen 60 Jahren für die Wiener Staatsoper, Volksoper oder das Burgtheater sind im Fundus zu finden.

Ein wahrer Schatz in der Theatermetropole Wien. Fundus und Werkstätten firmieren unter dem Logo „Art for Art“ (etwa: Kunst für die Kunst). Von hier kommt auch die passende Ausstattung für die Schauspieler der Bundesbühnen. Binder-Neururer sorgt mit ihrem Team für aufgearbeitete und neue Kostüme, frisches Schuhwerk und passendes Accessoire.

Eine ehemalige Wagenremise im Westen Wiens beherbergt in 23 Hallen zu je etwa 500 Quadratmetern den Fundus des Ausstatters. Aneinandergereiht würden die Kleiderstangen eine Länge von neun Kilometern ergeben. Gewänder aller Stilepochen, zum Teil einst getragen von Größen wie Susi Nicoletti, Otto Schenk oder Johanna Matz sind hier zu finden. Der Kostümfundus ist der Sammelort für alle Stücke, die jemals für die Bundestheater angefertigt wurden. Besonders wertvolle Exemplare kommen ins Theatermuseum.

Ein Nummernsystem hilft dem 53 Jahre alten Schneidermeister und Chef Harald Falk und seinen Mitarbeitern, die Ordnung zu bewahren. Denn auch andere nationale und internationale Theater, Festspiele oder Filmproduktionen nutzen den Verleih. „Jedem, der hier ein Kostüm ausborgt, können wir genau sagen, wo es in welcher Vorstellung und zu welcher Zeit gespielt hat“, sagt Falk.

Egal ob Rokoko-Gewand, Elfenkostüm oder Ritterrüstung — angefertigt werden sie allesamt in den Kostümwerkstätten. Wenige hundert Meter von der Wiener Staatsoper entfernt sind hier Schneidereien, Hutmacherei, Schuhmacherei und Kostümmalerei unter einem Dach. Leiterin Elisabeth Binder-Neururer und ihr 120-köpfiges Team statten 50 Neuproduktionen im Jahr aus, vom kleinen Schauspiel bis zur großen Oper. Dazu kommen Wiederaufnahmen und Aufträge wie für den Chansonnier André Heller oder die Modeschöpferin Vivienne Westwood.

Handwerkliches Wissen werde seit Kaisers Zeiten von Generation zu Generation weitergegeben, so Binder-Neururer. Beim aufwendigen Besticken von Wäsche könnte man eine Stecknadel fallen hören. „Da werden bis zu 20 Stiche auf einen Zentimeter gesetzt, das erfordert besonderes Fingerspitzengefühl und handwerkliches Können“, erklärt die Werkstätten-Leiterin.

Eine weitere Aufgabe ist die Arbeit am Bestand. Mal sind Reparaturen fällig, mal müssen Kostüme auf einen neuen Schauspieler angepasst werden. Hutmacher bessern Härchen der Rattenköpfe aus dem „Nussknacker“ aus. Schneiderinnen arbeiten an Halskrausen für die „Gräfin Mariza“ und die Schuhmacher an neuen „Schwanensee“-Schuhen: „Ein Ballettschuh muss sich anfühlen wie eine Socke und aussehen wie ein normaler Stiefel.“

Auch bei Neuproduktionen wird auf den Fundus zurückgegriffen. „Ein gebrauchtes Kostüm hat eine eigene Aura und ist etwas ganz Besonderes, was auf der Bühne auch gewünscht wird“, erklärt Binder-Neururer. „Die besondere Kunst ist, das so zu präsentieren, als ob es schon gelebt hätte.“