Uraufführung: Fremdlinge suchen Heimat
Das Theaterstück „Stunde Null der Gastarbeiter“ erzählt von Fremdheit. Und vom Ausbleiben einer neuen Heimat.
Köln. Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlug die "Stunde Null der Gastarbeiter": das erste Anwerbeabkommen für ausländische Arbeitskräfte wurde geschlossen. Junge Männer aus Süditalien kamen nach Deutschland, nur für kurze Zeit, so hatten sie es ihren Bräuten zuhause versprochen. Eine Illusion, denn aus den meisten Gast-Arbeitern wurden Einwanderer.
"Heimat ist da, wo Arbeit ist" betitelt Nuran David Calis den ersten Akt seines neuen Stücks, das in einer Koproduktion mit dem Schauspiel Essen in der Kölner Halle Kalk Premiere hatte. Ein zwiespältiger Satz, denn natürlich verlieren die zwei "kleinen Italiener" der "Stunde Null" ihre Heimat. Toni vergisst seine Freundin zuhause und heiratet eine Kölner Wirtstochter, Silvio holt 16 Jahre später seine Familie nach, die sich nur schwer von Neapel trennen kann.
Nuran David Calis ist ein Migrant der zweiten Generation und wurde 1976 als Sohn jüdisch-armenischer Einwanderer aus der Türkei in Bielefeld geboren. Die Mutter arbeitete als Putzfrau, der Vater in einer Gießerei, bis er arbeitslos wurde - und alkoholkrank. Nuran flüchtete auf die Straße und lernte, sich mit seinen Fäusten Respekt zu verschaffen.
Dass sein Leben eine andere Richtung nahm, verdankt er seinem ersten Theatererlebnis: Schillers "Kabale und Liebe". Calis war tief beeindruckt, so erzählt er, "dass die Welt noch aus etwas anderem besteht, als sich nur Gedanken darüber zu machen, wie man Geld verdient, sondern dass es einen Raum gibt, in dem man Ruhe und Zeit hat, sich mit den Fragen der Welt und dem Leben zu beschäftigen." Damals fing er an zu lesen, wurde ein guter Schüler und hatte Glück: Er bekam einen Praktikumsplatz an den Münchner Kammerspielen.
Unterdessen hat Calis selbst Schiller inszeniert, zuletzt "Kabale und Liebe" in Hannover, wo er zuvor mit seiner Bearbeitung von Wedekinds "Frühlings Erwachen" auffiel. Aber der erfolgreiche "Secondo" vergaß seine Herkunft nicht. Er arbeitet oft mit Migranten, wie in dem preisgekrönten Abend "Homestories" mit Jugendlichen aus Essen-Katernberg, der seit zwei Jahren vor ausverkauftem Haus am Schauspiel Essen läuft.
Und er bleibt ein "zorniger junger Mann", der in seinen - bisher sieben - Stücken seine Erfahrungen verarbeitet und mit moralischem Furor die Gesellschaft anklagt. "Heimat ist da, wo Liebe ist" heißt der dritte Teil der "Stunde Null"; auch dieser Satz ist zwiespältig. Denn Karim, obwohl in Deutschland aufgewachsen und studierter Jurist, kann nicht Fuß fassen. Keiner will den muslimischen Iraner in seiner Kanzlei haben. So verzehrt sich Karim nach seinem Heimatdorf, das er nie gesehen hat. Er will zurück zu den Wurzeln und er nährt den Hass, den er dem Publikum in einer wilden Tirade entgegenschleudert.
Zwiespältig ist leider auch die Inszenierung. Calis greift als Regisseur unbekümmert in alle Schubladen, auch in die Mottenkiste von 50er-Jahre-Kitschfilmen. So bleiben Figuren und Situationen oft an der Oberfläche, zumal die Darsteller erdrückt werden von den eindringlichen dokumentarischen Filmsequenzen, die über ihnen auf der Leinwand flimmern.
Am stärksten berührt die Szene zwischen der ausgewanderten Ayse (Judith van der Werff) und dem in Istanbul gebliebenen Hassan (Rezo Tschchikwischwili), die sich nach zwanzig Jahren wieder begegnen, voll Trauer über die verlorene Liebe.
Ca. 2 Std. ohne Pause, Auff. in Köln: 15.-17. Mai, Auff. am Schauspiel Essen: 8., 13., 23., 24. Mai; Duisburger Akzente: 29., 30. Mai