Zugedröhnt mit Narzissmus
Stephan Rottkamp inszeniert im Düsseldorfer Schauspielhaus Goethes „Werther“.
Düsseldorf. Werther hat alles dabei, was er braucht. Aus einer schwarzen Kiste holt er einen Plattenspieler, eine Kamera mit Stativ, ein Espressokännchen und einen Gaskocher. Doch was er am dringendsten braucht an diesem Abend sind Zuschauer, denn Werther quillt über, ist zugeknallt bis oben hin mit der Droge Narzissmus.
Schon in Goethes berühmtem Briefroman "Die Leiden des jungen Werther" von 1774-87 ist der Held ein Innigkeits-Monster, das seine Mitteilungen an den Freund Wilhelm schickt. Im Düsseldorfer Schauspielhaus richtet Werther die Kamera auf sich und macht das Publikum zu seinem Vertrauten.
Ilja Niederkirchner tigert umher, strahlt in die Runde und will die Welt mit den Armen umfassen. Ein Ego-Pusher, dem sich die Dauer-Euphorie als Grinse-Maske ins Gesicht frisst. All die Naturschwärmerei mit Käffchen können nicht über Werthers tiefe Einsamkeit und Bindungslosigkeit hinwegtäuschen.
Stephan Rottkamp hat die Regie zweieinhalb Wochen vor der Premiere von Boris Garni übernommen. Das merkt man vor allem zu Beginn der Inszenierung, wenn Werthers hochtouriges Empfindsamkeitsröhren mitunter nervig monoton daherkommt.
Hat der Held sich dann solistisch ausgeschwärmt, fährt ein Tor in der grauen trapezförmigen Wandkonstruktion (Ausstattung: Cäcilia Müller) hoch und schickt Lotte in die Arena.
Das ärmellose petrolfarbene Kleid und die Frisur erinnern ein wenig an die frühen Sixties. Friederike Linke spielt die Angebetete weniger als Zerrissene, denn als junge Ehefrau, ein bisschen höhere Tochter mit gezügelter Schwärmlust, die sich auf tiefe Blicke einlässt, doch letztlich sich jede Emphase versagt.
Lottes Begeisterung gilt ihrem Ehemann Albert, der mit einem lautstarken "Der Bräutigam ist da" auftritt. Als Mitbringsel gibt’s einen Plattenspieler, der die Ehefrau zu dem schönen Ausruf "Vinyl, Albert!" hinreißt.
Aus Werthers Innigkeits-Show wird eine Ménage à trois. Albert im blauen Hemd inszeniert vor der Kamera ein Dreiertreffen, doch die männlichen Kontrahenten geraten schnell aneinander. Milian Zerzawy überzeugt in der Rolle des Ehemanns, spielt keineswegs den Seelenheimwerker, sondern den verständig argumentierenden Widersacher. Einfühlsam, bestimmt und mit Anflügen von Eifersucht.
Die Inszenierung hat ihre Stärken vor allem im zweiten Teil. Die Werther-Texte wandern nun durch alle Spieler und lösen sich dadurch von der Individualität der Figur. Wenn Werthers Versuch, sich in die "fatalen bürgerlichen Verhältnisse" einzufinden, misslungen ist, spannt Rottkamp das Trio amoroso in ein brutales Schlaglichtgewitter ein.
Wie Fotos werden die drei Figuren im schnellen Hell-Dunkel als Zersprengte ihrer Gefühlswelten erkennbar. Momentaufnahmen immer neuer Spannungsverhältnisse. Zu Werthers Abschied gibt es den ersten Kuss von Lotte. Sein Selbstmord erfolgt dann im Schuss-Gegenschuss-Verfahren. Rechts die Pistole, links die Kamera. Für den Narzisst ist auch der Tod nur eine Frage der guten Inszenierung.