Zwei Übungen in Missbrauch und Schmerz
Stuttgart (dpa) - Ein Abend, zwei Stücke: Stephan Kimmig bringt am Stuttgarter Schauspiel Kroetz' „Stallerhof“ und die Uraufführung von Kaluzas „3D“ auf die Bühne.
Warum diese beiden Stücke an einem Abend? Spiegelt sich das eine im anderen, erhellen sie sich gegenseitig? Am Freitag hatte der Theaterabend „Stallerhof/3D“ Premiere am Schauspiel Stuttgart - Regisseur Stephan Kimmig kombiniert Franz Xaver Kroetz' derbes Bauernstück „Stallerhof“ aus den frühen 70er Jahren mit der Uraufführung von „3D“, dem neuen Werk des Düsseldorfer Fotokünstlers und Autors Stephan Kaluza.
Beide Stücke handeln von Missbrauch und Schmerz, Kimmig - der sonst als Hausregisseur am Deutschen Theater in Berlin tätig ist - stellt sie hintereinander, er verzichtet auf Verschränkungen. „Stallerhof“ - eine Geschichte zwischen der zurückgebliebenen Tochter einer Bauernfamilie und dem deutlich älteren Knecht, eine Beziehung zwischen Missbrauch und abhängiger Liebe, in einem Milieu aus geistiger Enge und katholizismusgestützter Unterdrückung.
Man könnte „Stallerhof“ als derbes, tiefschwarz-abgründiges Volkstheater inszenieren, das Stück ist im bayerischen Dialekt geschrieben. Da aber keiner der Schauspieler Bayerisch sprechen kann oder sprechen soll, entsteht ein sehr artifizielles Bühnenbayerisch, das etwa so klingt, als würde ein in Hannover sozialisierter Sprachschüler den im fremden Idiom verfassten Text mit überdeutlicher Betonung ablesen. Das mag man als Zeichen sehen für die universelle Übertragbarkeit des Konflikts, aber es führt dazu, dass stets ein Fremdheitsgefühl beim Zuschauer bleibt und die Sache nicht so richtig abhebt - trotz solider Schauspielleistung, trotz eines überzeugenden Bühnenbildes mit Videoeffekten, die mehr sind als nur Spielerei.
Temporeicher und bissiger, von künstlichen Sprachfesseln befreit, treten im zweiten Teil des Abends Elmar Roloff und Minna Wündrich in „3D“ auf. Das Milieu ist ein ganz anderes, eine Galeristin und ein Unternehmer, ein Wiedersehen nach 20 Jahren, das mit der Demaskierung und Demütigung des Mannes endet, der seine Frau unterdrückt und seine Tochter missbraucht hatte.
Kimmig inszeniert minimalistisch, er vertraut den Schauspielern und dem Text, was in beiden Fällen kein Fehler ist - wenn man akzeptiert, dass die Pointe des Stücks, die hier nicht verraten werden soll, im wirklichen Leben nicht besonders wahrscheinlich wäre. Liest man allerdings den Text des Stückes, so scheint es, als hätte den Regisseur am Schluss der Mut verlassen: Die Erniedrigung des Tyrannen hatte sich Autor Stephan Kaluza wohl noch etwas existenzieller vorgestellt.