„Anna Karenina“: Starr vor lauter Schönheit
Joe Wright inszeniert „Anna Karenina“ wie opulentes Theater. Die Gefühle bleiben dabei auf der Strecke.
Düsseldorf. Was tun, wenn eigentlich alles gesagt ist? Wenn ein Stoff so oft erzählt wurde, dass seine Figuren Staub auszuatmen scheinen und von ihren Namen nur noch der hohle Klang des bildungsbürgerlichen Kanons bleibt. Leo Tolstois „Anna Karenina“ ist dafür ein Paradebeispiel.
Fragt man nach russischer Literatur, fällt dieser Name wie ein Pawlowscher Reflex. Entsprechend oft wurde die tragische Liebesgeschichte bereits verfilmt. Greta Garbo, Vivien Leigh, Jacqueline Bisset und Sophie Marceau gaben jener Frau ein Gesicht, die sich zwischen gesellschaftlichen Zwängen und emotionaler Selbstverwirklichung zerreibt.
Wie man einem Klassiker Leben einhaucht, darin hat Joe Wright eigentlich Erfahrung. 2005 inszenierte er Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ als amüsanten Liebesreigen, der trotz seiner historischen Kulisse kraftvoll und modern wirkte. Wrights große Kunst: das Verdichten zwischenmenschlicher Befangenheiten. Und dafür bietet „Anna Karenina“ jede Menge Entfaltungsmöglichkeiten.
Schürzenjäger Oblonski (Matthew Macfadyen) treibt seine Frau Dolly (Kelly Macdonald) dazu, über Scheidung nachzudenken. Ihre jüngere Schwester Kitty (Alicia Vikander) übersieht die aufrichtigen Gefühle des Bauern Lewin (Domhnall Gleeson), weil sie nur noch den schneidigen Grafen Wronski (Aaron Taylor-Johnson) im Kopf hat. Der wiederum nimmt vom Schmachten der jungen Frau keine Notiz, weil er die titelgebende Anna (Keira Knightley) liebt. Und die stellt daraufhin ihre Ehe mit Fürst Karenin (Jude Law) in Frage.
Auch wenn Tolstois Porträt einer von Ständen, Vorurteilen und Traditionen erstickten Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts entstand, ist das Kernthema immer noch aktuell. Denn Entscheidungen, die gegen den Verstand von Herz und Bauch geleitet sind, treffen Menschen auch heute, egal in welchem Umfeld sie sich bewegen. Und genau hier, in der Zeitlosigkeit eines Klassikers der Weltliteratur und dem Anspruch eines talentierten Regisseurs, diesem oft erzählten Stoff etwas Neues abringen zu wollen, liegt das größte Problem dieses Films: Er will auf Teufel komm raus originell sein.
Wright bedient sich verfremdender Elemente. Er lässt große Teile der Handlung auf einer Theaterbühne mit wechselnden Kulissen spielen oder das Ensemble im Hintergrund als Staffage verharren, während sich nur Anna und Wronski geschmeidig weiterbewegen. Das ist visuell an manchen Stellen interessant und zweifellos geschmackvoll ausgestattet.
Die bewusste Gekünsteltheit verhindert aber einen emotionalen Zugang zu den Figuren. Sie wirken nicht wie Menschen, sondern nur wie adrette Fallbeispiele aus einer längst vergangenen Zeit. Selbst Jude Law, der mit seinem nuancierten Spiel echte Glanzpunkte setzt, kommt dagegen nicht an.
Wahrscheinlich ist es aber noch nicht mal die verkopfte Schneekugelkulisse, die den Film so lähmt. Auch seine beiden Hauptdarsteller tragen zum Scheitern bei. Im Fall des gerade mal 22-jährigen Taylor-Johnson, weil sein Wronski zu jung, fast noch pubertär wirkt. In Knightleys Fall, weil sie zum übertriebenen Chargieren neigt und ihrem Charakter damit den letzten Rest Glaubwürdigkeit nimmt. Ihre Szenen bleiben leblos wie ein Papiertheater aus dem Biedermeier: bunt und detailverliebt, aber völlig zweidimensional.