Bytes und Berlinale - das Festival ist digital
Berlin (dpa) - Die Berlinale hängt am seidenen Faden - genauer: an tausenden, fast hauchdünnen Fäden.
Wie ein Spinngewebe breiten sich Bündel von Glasfasern unter den Straßen aus, kilometerweit aus einem Rechenzentrum in Berlin-Moabit. Durch das Netz fließen die Filme als gigantische Byte-Ströme in mehr als 61 Kinosäle in der Stadt.
Die Berlinale hat das digitale Zeitalter erreicht. Längst haben Datenpakete die Filmrolle ersetzt, der analoge Projektor ist Geschichte. Auch bei der Berlinale hat die Beamer-Ära begonnen.
Im Bauch des Potsdamer Platzes fühlt sich die neue Zeit noch ein wenig irreal an. Anselm Heller blickt durch das kleine Fenster im Projektionsraum etwas traumverloren in den Kinosaal. „Knopf drücken, dann läuft's“, sagt der Filmvorführer im „Arsenal“ an einem der Beamer. Heller hat seinen Beruf vor zwei Jahrzehnten an traditionellen Geräten gelernt. Noch oft legt er Rollen für die Vorführungen in die alten Kino-Maschinen.
Hunderte Filme der Deutschen Kinemathek lagern im Keller des Sony-Centers - Klassiker und Kinoexperimente als Konserven einer verblichenen Ära. Doch auch das Filmmuseum stellt auf Digital um. Bei den Hütern des Schatzes verdrängen Festplatten allmählich die Zelluloid-Streifen.
Alle rund 1100 Produktionen, die vom 5. bis 15. Februar auf der Berlinale und dem Europäischen Filmmarkt (EFM) gezeigt werden, kommen von den Großrechnen im streng bewachten Datenzentrum in Moabit mittlerweile über Glasfaser in die Festivalkinos. Während in Cannes oder Venedig Festivalfilme in verhältnismäßig wenigen Kinos gezeigt werden, läuft die Berlinale in dutzenden Sälen. In zehn Tagen muss das Festival ein enormes Pensum bewältigen: Mehr als 2600 Vorführungen laufen in rund 25 Spielstätten - vom „Kiez-Kino“ bis zum Multiplex.
„Die Berlinale ist besonders stolz, ein Publikumsfestival zu sein“, sagt Ove Sander, der für die digitale Kinotechnik bei den Festspielen verantwortlich ist. Nicht nur Stars und Fachleute kommen dafür nach Berlin. Im vergangenen Jahr wurden 300 000 Tickets an das Publikum verkauft.
Statt wie früher, die Filmrollen hin- und her zu fahren oder wie heute, tragbare Festplatten von Kino zu Kino zu befördern, setzten die Berliner auf Glasfaser. Jeder Film wird einige Stunden vor der Vorführung in das Kino übertragen und dort gespeichert. Die aufwendige Logistik soll sicherstellen, dass jeder Titel im richtigen Kino zur richtigen Zeit gezeigt wird. Die Produzenten liefern die Filme über Festplatte oder Internet und gewinnen damit wertvolle Zeit für die Schlussproduktion.
Zum Schutz vor Raubkopien wird jeder Film mit einem eigenen Code verschlüsselt - jeweils gebunden an Ort und Zeit der Vorführung. Den Überblick dafür hat Anja Mayer im Berlinale-Filmbüro. Sie verwaltet die Codes und spricht sich mit den Produzenten ab, damit jeder Film rechtzeitig angeliefert wird. Auch wenn manchmal Beiträge kurz vor ultimo eintreffen - „eine Vorführung ist deswegen nie ausgefallen“, sagt Mayer, die von Beruf Filmcutterin ist.
Über das 250 Kilometer umfassende Berliner Netz der Firma Colt werden während der Berlinale Datenpakete mit einem Volumen von 500 Terabyte aus Moabit übertragen. Das Volumen entspricht zum Beispiel 1,8 Millionen Vorführungen des Berlinale-Eröffnungsfilms „Nobody Wants the Night“.
Colt, mit Hauptsitz in London, betreibt in Europa und Asien eigene Netze und Rechenzentren. Die Zusammenarbeit mit der Berlinale ist auch ein Teil der Suche nach einem neuen Markt für den Datentransport. Allein in Europa würden heute 50 000 Festplatten mit den neuesten Filmen zwischen den Kinos umhergeschickt. In Zukunft, sagt Colt-Vizepräsident Falk Weinreich, könnten alle Kinos mit Glasfaser verbunden werden.