„Der große Gatsby“: Romantik verträgt keine Party
Baz Luhrmann macht aus „Der große Gatsby“ einen Bilderrausch, die Geschichte geht ihm darüber verloren.
Düsseldorf. Das grüne Licht auf der anderen Seite der Bucht leuchtet. In der Dämmerung ist am Ufer die Silhouette eines Mannes zu erkennen, der wieder einmal nach dem blinkenden Schifffahrtssignal zu greifen versucht, sich über das Wasser sehnt, hin zu der Frau, die ihm alles bedeutet.
1974 stand an dieser Stelle Robert Redford als Titelfigur der Filmversion von F. Scott Fitzgeralds Roman „The Great Gatsby“, der auch heute noch als eines der wichtigsten und populärsten Werke der US-Literatur gilt.
Nun hat sich Baz Luhrmann an eine Neuverfilmung des Klassikers gewagt, die gestern die Filmfestspiele in Cannes eröffnet hat. Auf den ersten Blick scheint der Stoff wie für ihn geschaffen. Schließlich hat der australische Regisseur 1996 bereits Shakespeares „Romeo und Julia“ zu einem atemberaubenden Update verholfen, 2001 ließ er in „Moulin Rouge“ die Pariser Belle Epoque wieder auferstehen.
„Nicht weniger, sondern nur mehr ist mehr“ lautet Luhrmanns Bekenntnis zur visuellen und emotionalen Opulenz. Damit passt er gut hinein ins New York der 20er Jahre, in dem der Roman spielt. Die Börse brummt und schüttet Geld über dem vergnügungssüchtigen Manhattan aus. Besonders berühmt und berüchtigt sind die Partys im Hause Gatsby auf Long Island, wo Filmstars und Senatoren mit Mafiabossen, Börsenspekulanten und Showgirls bis in den frühen Morgen feiern, auch wenn der geheimnisvolle Gastgeber nie in Erscheinung tritt.
Nebenan hat sich der junge Börsenmakler Nick Carraway (Tobey Maguire) in einem Cottage eingemietet. Er führt als Erzähler durch die Geschichte und fungiert gleichzeitig als Vermittler zwischen seiner Cousine Daisy (Carey Mulligan), die auf der anderen Seite der Bucht lebt, und Gatsby, der Daisy vor vielen Jahren ewige Liebe geschworen hat. Dann zog er in den Ersten Weltkrieg, und die Geliebte heiratete den schwerreichen Südstaatler Tom (Joel Edgerton).
Der Widerspruch zwischen der großen romantischen Liebe, die sich über alle Hürden hinweg zu rekonstituieren versucht, und dem rasant-lustvollen Sittenverfall der wilden Zwanziger macht die eigentliche Spannkraft der Geschichte aus. Diesen Kontrast setzt Luhrmann überaus kraftvoll in Szene.
Bei der Inszenierung der ausschweifenden Partys ist er sichtlich in seinem Element. Wenn Leonardo DiCaprio als geheimnisvoller Jay Gatsby zum ersten Mal sein Gesicht der Kamera offenbart, illuminiert ein Feuerwerk im Hintergrund fachgerecht das Antlitz des romantischen Helden. Legte Robert Redford seinerzeit mit einer Menge Understatement Gatsbys undurchsichtige Faszinationskraft frei, arbeitet DiCaprio überdeutlich die Tragik der Figur heraus, die alles investiert, um die Vergangenheit wiederholen zu können.
Die konsequent unsubtile Herangehensweise spiegelt sich auch in Luhrmanns expressivem Inszenierungsstil wieder, der nicht immer die notwendige Ruhe und Konzentration für die intimen Szenen findet.
Das fällt besonders auf, wenn Schlüsselsequenzen durch die eingeblendete Erzählerstimme noch einmal erklärt werden für den Fall, dass deren Bedeutung im Rausch der Inszenierung verloren gegangen sein sollte. Hier wird das Prinzip der inflationären Verdeutlichung entschieden überstrapaziert. Ähnliches gilt auch für den Einsatz der 3D-Effekte, die eher aufdringlich als bereichernd wirken.
Einzig bei der Gestaltung der weiblichen Hauptfigur hat Luhrmann den Fuß vom Gaspedal genommen. Spielte Mia Farrow 1974 ihre Daisy als neurotische Südstaatenbraut, kommt Carey Mulligans Version der Figur weniger überdreht, deutlich plausibler, aber auch ein bisschen blasser daher.
Baz Luhrmanns „The Great Gatsby“ ist definitiv nicht das Meisterwerk, das Einige erwartet haben, aber dennoch ein in vielerlei Hinsicht sehenswerter Film, der mit all seinen (gescheiterten) Ambitionen aus Hollywoods mutlosem Konfektionskino deutlich herausragt.