Die besessenen Filmemacher
Martin Scorseses „Shutter Island“ hat Weltpremiere – in der Hauptrolle überzeugt der vielschichtige Leonardo DiCaprio.
Berlin. Irgendwann reichte es Leonardo DiCaprio. Bereits der dritte Journalist hatte ihn auf der Pressekonferenz zu seinem neuen Film "Shutter Island" gefragt, was er und Regisseur Martin Scorsese eigentlich gemeinsam hätten. Der 35-Jährige atmete tief ein, beugte sich mit verschränkten Armen nach vorne zum Mikrofon und sagte: "Wir teilen die gleiche Vorliebe für italienische Nachspeisen!" Gelächter im Plenum, ein betretener Blick auf dem Gesicht des Fragenden. Die Antwort saß.
DiCaprios Unmut ist verständlich. Mit jedem Film, den er mit Scorsese bislang gedreht hat ("Gangs of New York", "Aviator", "The Departed"), bewies er, dass er einer der vielschichtigsten Schauspieler ist, die in Hollywood derzeit arbeiten. Und trotzdem schlägt ihm immer wieder dieses Misstrauen entgegen, als würde er mit seinen jungenhaften Gesichtszügen nie die darstellerische Reife erlangen, die ein Scorsese-Film verlangt.
Dabei ist es offensichtlich, was die beiden Stars eint. Sie sind keine bloßen Filmschaffenden. Sie sind besessen. Beginnt Scorsese seine Vorbilder aufzuzählen, fahrig, im Stakkato-Stil, fangen DiCaprios Augen an zu leuchten. Scorsese war schon immer sein Held, sagt er. Auf den Punkt, warum Scorsese so heraus sticht, bringt es sein Co-Star Ben Kingsley: "Er ist wahrscheinlich der intelligenteste Mensch in diesem Raum, und das Besondere daran ist, dass er jedem das Gefühl gibt, mindestens so intelligent wie er selbst zu sein." Eine gute Grundlage für fruchtbares Arbeiten.
Allerdings kein Garant für ein makelloses Ergebnis. Zumindest im Fall von "Shutter Island", der auf der Berlinale außer Konkurrenz seine Weltpremiere feierte. DiCaprio spielt Ted Daniels, einen US-Marshall, der im Jahre 1954 in einer psychiatrischen Gefängnisklinik auf einer Insel nach einer verschwundenen Insassin sucht. Er fasziniert als psychisches Wrack, das versucht, den gewaltsamen Tod seiner Frau (Michelle Williams) zu verdrängen.
Dass der leitende Anstaltsarzt (Ben Kingsley) es ablehnt, sich an den Ermittlungen zu beteiligen, weckt Daniels’ Misstrauen. Je weiter er sich in die verschlungenen Gänge des Gefängniskomplexes begibt, umso mehr verschmelzen seine verstörenden Begegnungen mit den schmerzhaften Erinnerungen an seine Frau.
Überbordend wie eine Wagner-Oper und visuell beeindruckend hat Scorsese die Traumsequenzen seiner Hauptfigur bebildert. Allerdings schleudert den Zuschauer diese Gekünsteltheit aus der eigentlichen Handlung. Und warum DiCaprios US-Marshall neben seiner Familientragödie auch noch seine Erlebnisse als Soldat bei der Befreiung Dachaus zu verarbeiten hat, bleibt schleierhaft. Vielleicht sind seit "Inglourious Basterds" Nazis als filmisches Feindbild einfach zu schick, um auf sie zu verzichten. Um etliche Elemente entschlackt wäre "Shutter Island" ein eleganter Horrorschocker. So bleibt nur eine ermüdende Fingerübung eines Meisterregisseurs.