Die Bücherdiebin: Die heilsame Kraft des Lesens
Brian Percivals Kinoversion der „Bücherdiebin“ lässt von ihrem lebensphilosophischen Zauber wenig übrig.
Düsseldorf. Der Tod hat eine eigene Stimme. Sie hat einen warmen Ton, der Vertrauen erweckt, anstatt Schrecken zu verbreiten. Wenn er die Menschen holt — und es sind viele im Zweiten Weltkrieg, in dem diese Geschichte spielt —, umarmt er sie, fängt ihre Seelen auf und trägt sie davon. Weg von den Krematorien in Auschwitz, den Schlachtfeldern in Stalingrad, den bombardierten Städten in Deutschland.
Markus Zusaks international erfolgreicher Jugendroman „Die Bücherdiebin“ ist ein kühnes Buch. Von diesen narrativen Wagnissen ist in Brian Percivals Kinoversion kaum etwas übrig geblieben. Hier und da rollt zwar noch Ben Beckers sonore Stimme aus dem Jenseits durch den Kinosaal, aber der Tod ist hier nur ein illustres Dekor in einer kreuzbraven Erzählstruktur.
Im Zentrum der Handlung steht die neunjährige Liesel (Sophie Nélisse). Nachdem ihre Mutter als Kommunistin vor den Nazis fliehen musste, kommt sie zu Pflegeeltern in einen fiktiven Vorort von München. Rosa Hubermann (Emily Watson) hat das Leben am Existenzminimum zu einer hartherzigen Frau gemacht, aber zu ihrem Mann Hans (Geoffrey Rush) fasst das Mädchen bald Vertrauen.
Von ihm lernt sie lesen und schreiben. Die Faszination für die Welten, die sich ihr in der Literatur eröffnen, machen Liesel zur Bücherdiebin, die nach einer Bücherverbrennung der Nazis das qualmende Druckerzeugnis unter ihrer BDM-Uniformjacke versteckt.
Eines Nachts steht Max (Ben Schnetzer), der Sohn eines jüdischen Kameraden, der Hans im ersten Weltkrieg das Leben gerettet hat, vor der Tür. Sie nehmen den ausgehungerten jungen Mann bei sich auf, Liesel muss lernen zu schweigen.
Der Zweite Weltkrieg setzt unberechenbare Ereignisse in Gang. Aus der selektiven Sicht des Kindes erzählt „Die Bücherdiebin“ von Totalitarismus und Krieg. Aber Parcivals Filmversion kann den emotionalen Kosmos von Zusaks Roman nicht erschließen, der die Ängste und das normale Glück der Kindheit eng nebeneinander legt. Stattdessen werden die Klischees, mit denen das Dritte Reich seit jeher im Kino visualisiert wird, aneinandergereiht.
Allzu deutlich sieht man der internationalen Produktion ihre Herkunft aus dem Studio Babelsberg an. Auch die Besetzung mit Geoffrey Rush („The King’s Speech“), der hier seinen Drang zum Overacting in Zaum halten muss, und Emily Watson, die den weichen Kern unter der harten Schale ihrer Figur viel zu früh preisgibt, wirkt eher suboptimal.
Sehr überzeugend hingegen ist Sophie Nélisse als Hauptfigur, die genau die richtige Mischung zwischen kindlicher Naivität und der erwachenden moralischen Erschütterung gegenüber den Schrecken von Nationalsozialismus und Krieg verkörpert.
Aber Zusaks Roman erzählt eben mehr als nur eine weitere Geschichte über Täter und Opfer im Dritten Reich. Er erzählt vom existenziellen Grauen, das die Geschichte des 20. Jahrhunderts freigesetzt hat, von der heilsamen Kraft des Lesens und der daraus erwachsenden humanistischen Courage. Von diesem lebensphilosophischen Zauber ist in der uninspirierten Verfilmung kaum etwas zu spüren.