Dresens Drama rührt das Publikum zu Tränen

Cannes (dpa) - Das Sterben eines Menschen ist ein unbequemes und schwieriges Thema. Gerade im Kino findet es nur allzu oft auf eine Weise statt, die von der Wirklichkeit weit entfernt ist. Doch genau die fängt Andreas Dresen nun in „Halt auf freier Strecke“ ungeschönt ein.

Er erzählt die Geschichte des etwa 40-jährigen Frank, den die Diagnose seines Arztes mitten aus dem Leben reißt: Er hat einen inoperablen Hirntumor und nur noch wenig Zeit zu leben. Das tieftraurige Werk feierte am Sonntag beim 64. Internationalen Filmfestival Cannes Premiere und rührte die Zuschauer zu Tränen.

„Man muss sich damit auseinandersetzen, dass das Leben endlich ist“, sagte der 47-jährige Dresen („Sommer vorm Balkon“, „Wolke 9“) in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Das Sterben ist eines der wichtigsten Themen. Geburt und Sterben gehören zu unserem Lebensweg dazu. Wir neigen immer dazu, die Abgründe zu verdrängen“. Auch im Film komme der Tod als Hauptsujet eher selten vor. „Ich finde das schade, denn das Kino ist ein Ort, wo man sich mit existenziellen Problemen unseres Lebens auseinandersetzen sollte.“

Genau das tut „Halt auf freier Strecke“, der in Cannes in der renommierten Nebenreihe „Un certain regard“ lief. Dresen beobachtet Frank, seine Frau Simone und ihre zwei Kinder, wie sie versuchen, mit der Situation fertig zu werden. Die Diagnose lähmt, und es braucht einige Zeit, bis sie im Alltag der Familie ankommt. Franks Zustand verschlechtert sich immer mehr, Simone entscheidet sich, ihn zu Hause zu pflegen, und so werden das Sterben und der körperliche Verfall zu einem Teil des gemeinsamen Lebens.

Dresen besetzte die Rollen der Ärzte und Pfleger mit echten Medizinern und Helfern. „Die realen Leute produzieren eine Tonlage, die für einen Regisseur und auch für Schauspieler schwer zu kopieren ist“, erläutert er. Das funktioniert, denn so bekommt das Werk zusätzliche Authentizität und einen dokumentarischen Charakter.

Vor allem aber überzeugen die Hauptdarsteller Milan Peschel und Steffi Kühnert. Sie spielen Frank und Simone so intensiv und glaubwürdig, dass es unter die Haut geht. Franks Ungläubigkeit, sein Leiden, seine Trauer wirken bei Peschel („Boxhagener Platz“, „Der ganz große Traum“) äußerst real. Kühnert („Das weiße Band“) brilliert als Ehefrau, die mit dem Abschied von ihrem geliebten Mann konfrontiert wird und sich zudem um die Kinder und ihre eigene Trauer kümmern muss.

Der Film hinterließ nicht nur bei den Kinogängern Spuren. „Es hat noch kein Film so eine starke Wirkung auf mich entfaltet, beim Machen, wie dieser“, sagte Dresen. „Das waren Dinge, insbesondere in der Recherche, die mich bis ins Mark erschüttert haben, weil man sich so durchlässig machen muss und Dinge an sich ran lässt, die man sonst gerne verdrängt.“ Die Auseinandersetzung müsse aber nicht nur traurig machen, sondern könne auch helfen, das Leben anders zu bewerten.