Filmfest Venedig: Menschen in Ausnahmesituationen

Venedig (dpa) - Der einzige Animationsfilm im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Venedig könnte gute Chancen auf einen der Hauptpreise haben.

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„Anomalisa“ kreist um einen Mann in der Sinnkrise. Er ist erfolgreicher Autor und Motivationsredner, doch sein eigenes Leben erscheint ihm leer und gleichförmig. Dann aber trifft er auf eine Frau, die anders wirkt als alle anderen um ihn herum. Gedreht in aufwendiger Stop-Motion-Technik, bei der die Spielfiguren in jeder Einstellung neu arrangiert werden müssen, entwirft „Anomalisa“ ein präzises Abbild des menschlichen Lebens.

Regie führten die US-Amerikaner Charlie Kaufman und Duke Johnson. Kaufman ist bekannt für seine vielschichtigen Drehbücher für Erfolgsfilme wie „Being John Malkovich“. 2005 gewann er den Oscar für das beste Originaldrehbuch zu „Vergiss mein nicht“.

Die Geschichte von „Anomalisa“ mag dabei nicht ganz so schräg sein wie Kaufmans frühere Werke. Dennoch gelingt es dem 56-Jährigen im ersten Stop-Motion-Film seiner Karriere, seine Charaktere erneut komplex darzustellen und ihnen sehr nah zu kommen. Seine Figuren bewegen sich zwar etwas hakelig und sind gerade in den Gesichtern klar als nicht-reale Menschen erkennbar. Und doch werden ihre Ängste und Sorgen dank kleinster Gefühlsregungen genau spürbar und schaffen so eine berührende Tiefe und Authentizität.

Während der Italiener Marco Bellocchio (75) mit dem behäbig inszenierten Drama „Sangue del mio sangue“ enttäuschte, hinterließ auch der Türke Emin Alper in der Löwen-Konkurrenz einen stärkeren Eindruck. Der 41-Jährige überspitzt in „Abluka“ Elemente der gegenwärtigen Situation des Landes und entwirft so eine düstere Version der modernen Türkei: Istanbul scheint in einer Art Bürgerkrieg zu sein und der Staat bekämpft seine Gegner als Terroristen.

Kontrolle, Gewalt und Misstrauen bestimmen den wahnhaften Alltag in diesem politischen Thriller, den Alper mit dunklen und schmutzigen Bildern filmt. „Paranoia ist fester Bestandteil des türkischen Alltags“, sagte der 41-Jährige am Dienstag in Venedig. „Niemand traut dem anderen, wir behandeln uns gegenseitig wie potenzielle Feinde.“ In seinem Film habe er deswegen bewusst die Grenze zwischen Traum und Realität verschwimmen lassen wollen.

Das Filmfest Venedig endet am 12. September mit der Preisverleihung.