Haneke erobert Cannes - starker Festivalauftakt

Cannes (dpa) - Michael Haneke hat es erneut geschafft. Vor drei Jahren gewann der Österreicher beim Filmfestival Cannes die Goldene Palme für „Das weiße Band“, nun wird er wieder euphorisch gefeiert - für sein zutiefst berührendes und erschütterndes Drama „Liebe“.

^Darin erzählt Haneke von einem älteren Ehepaar um die 80 und dessen Schwierigkeiten, als die Frau ein Pflegefall wird. Viele Kritiker sehen den 70-jährigen Haneke schon jetzt mit einer weiteren Goldene Palme nach Hause fahren. Überhaupt fällt die Bilanz der ersten Festivaltage stark aus, auch wenn die Filme oft düstere Themen behandelten.

„Sobald man ein gewisses Alter erreicht, muss man mit dem Leiden der Menschen klarkommen, die man liebt: seine Großeltern, sein Partner. Das ist unvermeidbar“, sagte Haneke am Sonntag. „Es ist sehr schwierig, seine Lieben leiden zu sehen.“ Im Leben gebe es eben Zeiten, die weniger angenehm seien als andere.

Auch Anne und George im Film „Liebe“ kennen das, sind sie doch schon seit langem verheiratet, haben eine Tochter und lieben sich noch immer. Dann erleidet Anne einen Schlaganfall und ist auf einer Seite gelähmt. Ihr Mann will sie nicht in ein Heim geben, sondern pflegt sie selbst. Als Anne dann aber einen zweiten Schlaganfall hat, verschlimmert sich ihre Situation dramatisch und der Tod ist unausweichlich.

Haneke wählt sehr nüchterne und unsentimentale Bilder. Er beobachtet genau, zeigt den Alltag seiner Protagonisten und beschönigt nicht den körperlichen Verfall. Aus dieser Darstellung entwickelt „Liebe“ aber auch seine enorme Wucht, Wärme und Emotionalität. Denn die Kamera bleibt in der Wohnung der beiden und kreiert so eine Intimität, die die Zuschauer schnell erfasst. Sie spüren, wie aufopferungsvoll sich George um Anne kümmert, wie die einstige Musiklehrerin hilflos in ihrem Pflegebett liegt und wie die beiden mit sich und ihrer Situation ringen.

Isabelle Huppert spielt die Tochter, die ein paar Mal zu Besuch kommt. Ansonsten jedoch fokussiert „Liebe“ auf die beiden französischen Schauspiellegenden Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva, die in den Hauptrollen brillieren. „Ich habe noch nie so einen fordernden Regisseur getroffen wie Michael Haneke“, sagte der 81-jährige Trintignant. Der wisse genau, wie sein Film aussehen solle. „Der Dreh war schmerzhaft, aber auch wunderschön.“

Das Festival in Cannes läuft bis zum 27. Mai. An den ersten Tagen waren gleich mehrere starke Wettbewerbsbeiträge zu sehen. Oft ging es um Liebe und damit verbundene menschliche Schicksale: In dem Eröffnungsfilm „Moonrise Kingdom“ fand Regisseur Wes Anderson für seine Geschichte einer ersten Liebe zweier Außenseiter einen kunstvoll-verspielten Ansatz, während Ulrich Seidl im zweiten österreichischen Wettbewerbsbeitrag „Paradies: Liebe“ mit seiner fast voyeuristischen Darstellung von Sextourismus in Kenia polarisierte.

Weit vorne in der Kritikergunst liegt das rumänische Drama „Beyond the Hills“ um zwei junge Frauen, die zusammen im Waisenhaus aufgewachsen sind. Nun ist Voichita im Kloster und Alina will sie von dort wegholen, kann sie doch nicht ohne Voichita leben. Regisseur Cristian Mungiu zieht die Zuschauer über zweieinhalb Stunden in diese orthodoxe Welt, wo der Glaube an Gott über allem steht. Doch als Alina gegen die strikten Regeln rebelliert, will die religiöse Gemeinschaft ihr den Teufel austreiben - und verstößt dabei selbst gegen die elementaren Prinzipien christlicher Nächstenliebe.