Interview: Christian Ulmen drückt als Jonas die Schulbank (mit Trailer)
Der Schauspieler hat für seinen Film sechs Wochen im Klassenzimmer gesessen. Er spricht über Lehrer, Stress und Religion.
Herr Ulmen, Ihren neuen Kinofilm „Jonas“ bezeichnen Sie als Dokumentation. Waren Sie tatsächlich inkognito unterwegs?
Ulmen: Wir haben alle eingeweiht, das ging nur so. Wenn man sechs Wochen lang mit jemandem arbeitet, muss der einem auch vertrauen. Hätte jemand erst im Nachhinein festgestellt, dass Jonas eigentlich dieser Ulmen ist, hätte er sich verarscht gefühlt. Das Risiko war zu hoch, dass das Projekt genau daran scheitert. Das Wissen, dass hinter Jonas ein Schauspieler steckt, ist aber irrelevant. Am ersten Tag ist es für Schüler und Lehrer noch interessant. Danach wird Jonas einfach so angenommen und geglaubt, wie er ist.
Dieser Jonas wirkt sehr lebensnah. Wie haben Sie die Figur erarbeitet?
Ulmen: Jonas hat einen funktionalen Charakter, er muss uns die Tür in eine Schulwelt öffnen. Für eine Dokumentation über Schulalltag brauchten wir einen Protagonisten, durch dessen Augen wir einen Blick auf den Stress und den Druck erhaschen können — all das eben, was Schüler durch ihren Alltag begleitet. Im Gegensatz zu den anderen Figuren, die ich vorher in ähnlichen Kontexten gespielt habe, durfte Jonas nicht provozieren und nicht anecken. Er durfte in sich nicht zu lustig sein. Diese Figur musste sich dem Schulalltag gut unterwerfen lassen, um mitzulaufen. Ein Typ wie Jonas bot sich an. Er ist zweimal sitzen geblieben und will seine letzte Chance ergreifen. Er ist alles andere als ein Überflieger, seine Talente sind eher außerhalb der Schule angesiedelt.
Gab es auch Ablehnung?
Ulmen: Die Lehrer waren sauer, wenn Jonas sich nicht angestrengt und seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Er war wahrscheinlich nicht der Lieblingsschüler des Mathelehrers, nachdem er bei einer Klausur abgeschrieben hat. Es gab auch Schüler, die ihn nervig fanden. Mit anderen hat er sich schnell angefreundet. Es war wie im echten Leben: Der Neue muss sich in der Klasse erst mal zurechtfinden.
Was hat sich seit Ihrer eigenen Schulzeit am stärksten verändert?
Ulmen: Es hat sich gar nichts verändert. Die Lehrer sehen noch genauso aus. Sie tragen noch immer Kleidung aus nie dagewesenen Modeströmungen. Es riecht alles genauso, und dasselbe Unbehagen und dieselbe Angst wabern herum, wenn die Schulglocke läutet. Der einzige Unterschied ist nach meinem Empfinden, dass der Druck ein anderer geworden ist. Er dehnt sich jetzt nämlich auch auf die Zeit nach der Schule aus. Die Schüler denken darüber nach, ob sie jetzt arbeitslos werden, weil sie mal eine Fünf in Chemie geschrieben haben. Das war für mich ein neues Phänomen.
War der französische Film „Die Klasse“ eine Inspiration, auch wenn hinter ihm eine ganz andere Intention steckt?
Ulmen: Ja. Unser Regisseur brachte den Film mit. Wir hatten die Idee schon vorher, aber der Film war doch noch einmal eine Inspiration.
Wie hat die Lehrerin Frau Maschke darauf reagiert, dass sie im Film zum Objekt von Jonas´ Begierde wird?
Ulmen: Genau so, wie es im Film zu sehen ist. Sie war etwas peinlich berührt, fühlte sich aber gleichzeitig wohl auch etwas geschmeichelt. Der Moment hatte schon ein gewisses Knistern. Es gab nichts, was wir im Film nicht sehen würden.
Jonas diskutiert auch über Gott. Haben Sie einen Draht zu religiösen Dingen?
Ulmen: Ich beneide Menschen, die glauben können. Mir fehlt dafür der Gottesbeweis. Andererseits gibt es auch keinen Beweis für die Nichtexistenz Gottes. Insofern bin ich auch kein Atheist. Ich bin ein Irrlichtender.
Was haben Sie aus dieser Arbeit persönlich mitgenommen?
Ulmen: Die Erkenntnis, dass Angst in der Schule kein guter Berater ist. Außerdem habe ich meine eigenen Mini-Schultraumata durch diese Rückkehr besiegt.