Jodie Foster und der amerikanische Alptraum
Jodie Foster stellt in Cannes ihren neuen Film „Der Biber“ vor und ist sicher: „Europäer verstehen mehr vom Leben.“
Frau Foster, wie kommt es, dass Sie sich in Ihrem neuen Film „Der Biber“ ausgerechnet mit Depressionen beschäftigen?
Foster: Ich bin oft schon damit konfrontiert gewesen. Depressionen gibt es in jeder Familie. Die bringt das Leben nun mal so mit sich, würde ich sagen. Und je älter man wird, desto mehr häufen sich die Schwierigkeiten: Deine Eltern werden alt, deine Kinder erfüllen deine Erwartungen nicht, das Leben entwickelt sich anders, als du es dir gedacht hast.
Sind Depressionen in Amerika denn noch ein Tabu?
Foster: Nein, überhaupt nicht! Depressionen sind auch kein Phänomen, das nur in Amerika auftritt, aber es ist besonders dort so präsent: Man hat alles und fühlt sich trotzdem leer. Wir Amerikaner tendieren dazu, große Wagen, riesige Steaks und große Häuser haben zu wollen und es als Erfüllung unserer Träume zu verstehen. Europäer sind da bodenständiger und verstehen mehr vom Leben.
Das ist also die Kehrseite des amerikanischen Traums?
Foster: Absolut. Und dann gibt es so ein vorfabriziertes Fest namens Thanksgiving. Die Leute fühlen sich verpflichtet, bei diesem einen Abendessen zu demonstrieren, wie sehr sich alle lieben. Dabei ist es ein furchtbares Aufeinandertreffen deiner Vergangenheit und deiner ungewissen Zukunft! Diese Heuchelei ist eine weitere Kehrseite des amerikanischen Traums. Mich fasziniert Amerika, die Landschaft und die Mentalität, weil sie ein Teil von mir sind, ohne dass ich es vollständig fassen kann.
Eigentlich wollten Sie bei „Der Biber“ nur Regie führen. Wie kam es, dass Sie nun auch die zweite Hauptrolle neben Mel Gibson spielen?
Foster: Als Mel sich für unser Projekt entschieden hatte, dachte ich mir: Wen soll ich ihm jetzt gegenüber besetzen? Ich wollte sichergehen, dass der Film ein Drama bleibt, eine Familientragödie. Dafür brauchte ich eine Schauspielerin, die die Erfahrung einer langen Ehe überzeugend darstellen konnte. Mel ist ein ganz besonderer Schauspieler, und ich dachte mir einfach, wir zwei passen gut zusammen.
Sie sind mit Mel Gibson befreundet. War das gemeinsame Spiel für Sie auch eine emotionale Reise?
Foster: Ja, über viele Punkte haben wir uns auch schon über Jahre unterhalten: Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn beispielsweise. Deswegen war ich mir sicher, dass er genau weiß, worum es mir in diesem Film geht. Ich wusste, dass er den Mut haben würde, den traurigen Teil seiner Persönlichkeit offen zu legen.
Sie sind mit „Der Biber“ zum Filmfestival in Cannes eingeladen. Zum ersten Mal waren Sie dort mit 13 Jahren, als Sie in „Taxi Driver“ gespielt haben.
Foster: Ja, das war 1976, „Taxi Driver“ hat die Goldene Palme gewonnen. Ich erinnere mich noch gut! Die Filmfirma Columbia wollte nur Regisseur Martin Scorsese sowie die Schauspieler Robert De Niro und Harvey Keitel dort haben. Aber meine Mutter sagte: „So eine Chance wirst du nie wieder haben! Und du sprichst perfekt Französisch. Wir zahlen es aus eigener Tasche!“ Und abgesehen von der Pressekonferenz hat keiner der anderen ein Interview gegeben. Sie waren auf ihren Zimmern und haben sich nicht raus getraut. Ich war die einzige, die damit kein Problem hatte.
Sie waren ein Kinderstar. Wann haben Sie sich entschieden, kein normales Leben zu führen?
Foster: Ich hatte eigentlich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, ein normales Leben zu führen. Kalifornien und Sonne waren vielleicht normale Dinge, aber ich hatte keinen Vater. Meine Mutter hat uns vier Kinder allein großgezogen. Ich habe im Alter von drei Jahren angefangen zu arbeiten, meine Brüder haben auch früh angefangen, wir haben damit unsere Familie ernährt. Insofern hatte ich nie das Gefühl, eine normale Kindheit gehabt zu haben. Aber das muss kein Nachteil sein. Normalität ist für mich nicht automatisch erstrebenswert.