Porträt Klaus Maria Brandauer: Vom „Struwwelpeter“ zum „König Lear“

Wien (dpa) - Seine bekanntesten Filmrollen waren ihm zunächst gar nicht recht. Beim James-Bond-Streifen „Sag niemals nie“ (1983) war er entsetzt über das Angebot, den Bösewicht und Gegenspieler von Sean Connery spielen zu sollen.

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Er wollte in den USA damals eigentlich nur höchst anspruchsvolle Rollen annehmen, bekannte Klaus Maria Brandauer jüngst in einem ORF-Interview. Beim Liebesdrama „Jenseits von Afrika“ (1985) habe ihn seine Mutter gewarnt, den aus ihrer Sicht geschmacklosen Part des geschlechtskranken und notorisch untreuen Barons Bror von Blixen-Finecke zu übernehmen.

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Beim Rückblick auf sein Leben aus Anlass seines 75. Geburtstag (22. Juni) muss der österreichische Schauspieler aber einräumen: „Es waren keine Fehler. Allein den Bond-Streifen haben eine Milliarde Menschen gesehen.“ Für den schillernden Baron erhielt Brandauer einen Golden Globe. In mehr als 80 TV-Produktionen und Kinofilmen hat er mitgespielt.

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Dabei war Brandauer über seine ganze Karriere hinweg wählerisch. Er habe viele Angebote abgelehnt, schon wenn ihm eine Winzigkeit nicht gepasst habe, bekannte er. Berüchtigt sind auch seine von Eitelkeit befeuerten cholerischen Ausbrüche. Als Regisseur der Neuinszenierung der „Dreigroschenoper“ im Berliner Admiralspalast warf er 2006 ein TV-Team hochkant aus der Probe, weil es wagte, einen Wunsch zu äußern. Die Inszenierung bekam schlechte Kritiken, das Stück war aber jedes Mal ausverkauft. „Über Brandauer heißt es, er sei beim Planen eines Projektes euphorisch, bei der Realisierung verunsichert und bei der Fertigstellung verzweifelt“, befand das Magazin „Stern“ nach dem Vorfall.

An dem Sohn eines deutschen Zollbeamten und einer für sein Leben sehr prägenden österreichischen Mutter scheiden sich die Geister. Er sei „eine Mischung aus Arroganz und Souveränität, aus aalglatter narzisstisch unterfütterter Unverschämtheit und nonchalantem, aus Disziplin, Können, Erfolg gewachsenem Selbstbewusstsein“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vor einigen Jahren. Die Bilanz spricht für Brandauer: Fast 40 Auszeichnungen für Leben und Werk hat er bekommen, darunter den „Bambi“, das Filmband in Gold, den Deutschen Schauspielerpreis, den Nestroy-Theaterpreis, die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien.

Seine künstlerischen Wurzeln reichen nach Deutschland. Als er mit seinen Eltern im badischen Grenzach wohnte, kam er in der Volksschule zu seiner ersten Rolle. Voller Inbrunst gab er den „Struwwelpeter“, der sich gegen die Erwachsenen wehrt, seine Fingernägel nicht schneiden und seine Haare nicht kämmen lässt. Beeindruckt vom spürbaren Talent habe der Schuldirektor erkannt: „Der wird mal ein Schauspieler“, erinnert sich Brandauer.

Der deutsche Südwesten blieb lange Brandauers Heimat. An der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart studierte er zwei Semester, 1963 gab er in Shakespeares „Maß für Maß“ am Landestheater in Tübingen sein Debüt. Nach Stationen in Salzburg und Düsseldorf wurde Brandauer 1972 Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater. Die 1980er Jahre waren seine besondere Glanzzeit. In Salzburg gab er bei den Festspielen jahrelang höchst überzeugend den „Jedermann“, in der Wiener Burg in 100 Aufführungen den Hamlet. „Das war eine besonders schöne Zeit“, erinnert sich Brandauer im dpa-Interview.

Sein schelmisch-diabolisches Grinsen, sein keck-frecher Blick und seine fast tänzerische Geschmeidigkeit wurden im Film einem Millionenpublikum vertraut. Die Rolle des Opportunisten Hendrik Höfgen alias Gustav Gründgens in „Mephisto“ (1982) bedeutete den internationalen Durchbruch. Ein Typ wie Höfgen, der um seiner Kunst und Karriere willen keine Skrupel kennt - das war große Schauspielkunst. „Mephisto“ bekam als bester ausländischer Film einen Oscar.

Auch später suchte Brandauer neben seinen Rollen auf der Bühne immer wieder das Scheinwerferlicht des Film-Sets. Hochgelobt wurde er unter anderem für „Das Spinnennetz“ (1989). 2013 spielte Brandauer in „Die Auslöschung“ einen von Alzheimer heimgesuchten Geist. Als Filmregisseur feierte er ebenfalls Erfolge, unter anderem für den Film über den Hitler-Attentäter Georg Elser. Im Wiener Burgtheater spielte er in 45 Jahren ein Dutzend Rollen. Sein letzter großer Auftritt war 2013/2014 die Rolle des „König Lear“ in einer Inszenierung von Peter Stein. Beide halten wenig vom Regietheater und sehen den Schauspieler im Mittelpunkt. In der Spielzeit 2018/2019 schlüpft Brandauer erneut in die Rolle des tragischen Helden Lear.

Trotz Engagements in der ganzen Welt und Wohnungen in Berlin, Wien und New York ist Brandauer nur im idyllischen Altaussee in der Steiermark, wo er die ersten Jahre als Kind verbrachte, wirklich zu Hause.

Mit 70 Jahren wurde Brandauer zum zweiten Mal Vater - rund ein halbes Jahrhundert nach der Geburt seines ersten Sohnes. Seine erste Frau und Jugendliebe, Filmregisseurin Karin Brandauer, starb nach fast 30 Jahren Ehe 1992 an Krebs. Nach diesem Schicksalsschlag zog sich Brandauer einige Jahre zurück. 2007 heiratete er eine um mehr als drei Jahrzehnte jüngere Theaterwissenschaftlerin.

Aus Anlass seines Geburtstags liest Brandauer im Burgtheater erneut aus den Briefen von Musik-Genie Wolfgang Amadeus Mozart. „Wenn der Mozart nur die Briefe geschrieben hätte, würde ich ihn schon für ein Genie halten. Der hatte als junger Mensch schon einen unglaublichen Durchblick“, sagte Brandauer der dpa. Den Geburtstag will Brandauer - nach der großen Fete zum 70. im Burgtheater - diesmal im Familienkreis in Altaussee feiern. „Ich bin weiter saumäßig froh, auf der Welt zu sein“, ist der Mime zufrieden.

Mit dem Altern hat Brandauer aber auch seine Probleme. „Das ganze Leben wird ein bisschen schwerer. Aber nicht deshalb, weil ich jetzt alt werde, sondern weil mir das Altwerden nicht gefällt“, sagte er 2013. Er könne sich vieles vorstellen, aber nicht den eigenen Tod.