Leoparden-Jagd in Locarno auf der Zielgeraden

Locarno (dpa) - Die Spannung vor dem Finale des 67. Internationalen Filmfestivals im schweizerischen Locarno ist groß. Der Hauptwettbewerb des nach Cannes, Berlin und Venedig viertwichtigsten europäischen Filmfestivals war von exzellenter Qualität.

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Die Jury hat die Qual der Wahl. Zu den Favoriten zählt „A Blast“ („Explosion“) des griechischen Regisseurs Syllas Tzoumerkas, eine internationale Gemeinschaftsproduktion, die mit großem finanziellen Engagement aus Deutschland realisiert wurde.

Wer den Hauptpreis, den Goldenen Leoparden, vom Ufer des Lago Maggiore mit nach Hause nimmt, kann angesichts der Fülle guter Filme nicht vorhergesagt werden. „A Blast“, eine kraftvolle Erzählung über die Not sogenannter kleiner Leute im Banne der ökonomischen Krise in Griechenland, gehört zu den besten politisch engagierten Spielfilmen dieses Festivaljahrgangs. Es ist gut vorstellbar, dass die Jury das packende Drama mit dem Goldenen Leoparden ehrt. Hauptdarstellerin Angeliki Papoulia gilt zudem als eine der Favoritinnen für die Auszeichnung als beste Schauspielerin mit einem Silbernen Leoparden.

Die Jury hat eine reiche Auswahl unter 17 Spiel- und Dokumentarfilmen des Hauptwettbewerbs. Favorisiert ist auch das philippinische Historiendrama „From what is before“ („Von dem, was war“). Hoch gehandelt werden daneben der russische Polit-Thriller „Durak“ („Der Narr“) und dessen Hauptdarsteller Artem Bystrow, die chinesisch-US-amerikanische Langzeitdokumentation über das dichte Eisenbahnnetz in China „The Iron Ministry“ und aus Italien „La Sapienza“ („Die Weisheit“), eine kunstvolle Ballade um architektonische Meisterwerke als Spiegel menschlichen Seins.

Neben Angeliki Papoulia und Artem Bystrow hat die Französin Ariane Labed in der Rolle einer Schiffsmechanikerin in „Fidelio, die Odyssee von Alice“ gute Aussichten, als beste Schauspielerin ausgezeichnet zu werden. Als bester Schauspieler werden dazu vom Publikum der Südkoreaner Park Jungbum in „Alive“, der US-Amerikaner Jason Schwartzman in „Listen up, Philip“ und der Italiener Stefano Deffenu in „Perfidia“ favorisiert. Doch auch hier lässt die Vielzahl der guten Leistungen keine sichere Voraussage zu.

Aber auch in Locarno kann passieren, was auf vielen Filmfestivals passiert: Die Jury entscheidet möglicherweise entgegen allen Erwartungen. Es hängt davon ab, welchen Schwerpunkt die Juroren setzen. Sie können ihr Augenmerk auf Filme und schauspielerische Leistungen mit sozialkritischem Anspruch richten, auf Massentauglichkeit oder auf ausgefallene Ästhetik und hohen Kunstanspruch fern von publikumswirksamen Geschichten.

Eines steht fest: Das Festival hat unter dem erst in seinem zweiten Jahr tätigen künstlerischen Direktor Carlo Chatrian insgesamt eine hohe Qualität angeboten. Dem Publikum gefielen auch unterhaltsame Filme außerhalb des Wettbewerbs, wie zum Beispiel „Hin und Weg“ aus Deutschland. Die rund 8000 Besucher der abendlichen Freiluftaufführungen auf der Piazza Grande der mittelalterlichen Kleinstadt waren meistens begeistert.

Das 67. Festival in Locarno kann schon vor dem Abschluss eine Erfolgsbilanz ziehen: Der Zuspruch der Zuschauer war trotz häufigen Regens selbst bei den Freiluftaufführungen enorm. Und es gelang wieder eine ausgewogene Balance zwischen der Förderung anspruchsvoller Filmkunst einerseits und intelligenter Unterhaltung andererseits.