„Nett singen reicht nicht“: 800 Jahre Thomanerchor

Leipzig (dpa) - Der neunjährige Johannes ist aufgeregt. Der Junge aus Leipzig will im weltberühmten Thomanerchor mitsingen und ist mit seiner Mutter zur Aufnahmeprüfung gekommen.

Mit der berührenden Szene, wie die Mutter die Hand ihres Jungen streichelt, beginnt der Dokumentarfilm „Die Thomaner. Herz und Mund und Tat und Leben“. Er ist zum 800-jährigen Bestehen des Chors in diesem Jahr entstanden. „Im Thomanerchor zu sein, war schon immer mein Ziel“, sagt Johannes. Er schafft die Aufnahme - und wird fortan von den Dokumentarfilmern ein Jahr lang durch den Alltag als Thomaner begleitet.

Der Film lässt die jüngsten Thomaner ebenso zu Wort kommen wie die Abiturienten, die den Chor bald verlassen müssen. Er zeigt das Leben der Chorknaben zwischen Heimweh und Streben - von der Mühsal der täglichen Proben unter dem gestrengen Thomaskantor Georg Christoph Biller bis zu einer triumphalen Tournee durch Südamerika. Fast 300 Stunden Material haben die Regisseure Paul Smaczny und Günter Atteln zusammengetragen und in dem knapp zweistündigen Dokumentarfilm verdichtet. Am 16. Februar feiert er in Anwesenheit der Thomaner in Leipzig Deutschland-Premiere und kommt nach Angaben des Verleihs bundesweit in die Kinos.

Der Dokumentarfilm gehört zu den Festlichkeiten zum 800. Geburtstag des Thomanerchors, der Thomaskirche und der Thomasschule, in der die Chorknaben seit jeher lernen. „Die 800 Jahre zu feiern ist für uns eine Riesenchance, uns auch außerhalb von Konzerten in die Öffentlichkeit zu bringen“, sagt Chor-Geschäftsführer Stefan Altner. „Wir schleppen 800 Jahre Geschichte mit uns herum. 800 Jahre Musikgeschichte, Schulgeschichte, Kirchengeschichte. Bach war 27 Jahre lang unser Hausgott.“ Diese Tradition verpflichte, „aber wir sind in der Gegenwart verwurzelt“, sagt Altner. „Wir sind kein Museum Bach'scher Musik, wir wachsen mit Bach und füllen ihn mit unseren heutigen Mitteln.“

Auch der Dokumentarfilm zeigt, dass die Thomaner keineswegs nur zwischen angejahrten Notenblättern leben. Im Tournee-Bus wird auf Spielkonsolen gedaddelt, der pädagogische Leiter Roland Weise nennt die aktuelle Generation „Playstation-Kinder“. Allen ist aber der Respekt vor der Tradition anzumerken. „800 Jahre - wie haben die das denn gemacht, das so lange zu erhalten?“, fragt etwa der 15-jährige Oskar - um dann stolz festzustellen, ein Teil dieser Geschichte zu sein.

Dem 1212 gegründeten Knabenchor gehören rund 100 Jungen und junge Männer im Alter bis zu 18 Jahren an. Der Komponist Johann Sebastian Bach (1685-1750) leitete ihn von 1723 bis 1750. Der Chor gilt als einer der ältesten und besten der Welt. „Nett singen reicht uns nicht“, formuliert Kantor Biller im Film den Anspruch. Um den Chor auf künstlerisch höchstem Niveau zu halten, ist ständiger Talente-Nachschub gefragt.

Nach dem Abitur verlassen die Jungen den Chor - auch das zeigt der Dokumentarfilm. Tränen fließen, aber auch nachdenkliche Töne werden angestimmt. Der 18-jährige Stefan blickt auf seine neun Jahre im Chor und im Internat zurück: „Die Dinge, die man aufgibt, waren für mich doch zu groß“, bilanziert er. Dagegen sagt Maximilian: „Ich würde mich jederzeit, wenn es noch mal einen neuen Anfang gäbe, wieder dafür entscheiden.“