"Oh Boy": Unerträgliche Seichtigkeit des Seins
Der Schwarz-Weiß-Film „Oh Boy“ hat das Zeug zum Kult.
Das Leben könnte so einfach sein. Hier ein paar Bier, dort ein bisschen Abhängen mit den Kumpels, natürlich viel Zeit mit der Freundin. Und Kaffee — ganz wichtig. Bei einem guten Kaffee kann man die Welt ringsherum vergessen.
Wären da nicht diese Störfaktoren, Sammelbezeichnung: Menschen, die einen genau dann nerven, wenn man seine Ruhe haben will. Also eigentlich immer. Niko (Tom Schilling) ist einer dieser Zeitgenossen, die nicht viel zum Leben brauchen. In erster Linie, weil Niko nicht weiß, was das Leben eigentlich soll und er seine Erwartungshaltung daher auf Sparflamme lodern lässt.
Seine Freundin hat ihn rausgeworfen. Planlos sitzt er in der neuen Wohnung auf seinen Kisten, will in Ruhe eine rauchen, aber der Nachbar (Justus von Dohnanyi) lässt ihn nicht. Frikadellen als Einzugsgeste. Wirrer Small-Talk. „Wo ist denn die Aus-Taste?“, scheint Niko mit jedem seiner verzweifelten Blicke zu sagen. Dumm nur, dass niemand aus seinem Mienenspiel lesen will.
„Oh Boy“ ist ein lakonischer Film über die unbeschreibliche Seichtigkeit des Seins, die von Menschen um die 30 auf der Schwelle zum endgültigen Erwachsensein gerne mal Besitz ergreift. Sein Studium hat Niko schon vor Jahren abgebrochen.
Er lebt er vom finanziellen Wohlwollen seines vermögenden Vaters (Ulrich Noethen). Was er denn die ganze Zeit gemacht habe, in der er nicht zur Uni gegangen ist, will der Herr Papa bei einer Runde Golf von seinem Sprössling wissen, nachdem er ihm auf die Schliche gekommen ist. „Ich habe nachgedacht“, sagt Niko. Und meint das völlig ernst.
Einen Tag lang begleitet der Film Niko bei seinem ziellosen Schlendern durch den unnahbaren Asphaltdschungel. Berlin dient hier nur als Blaupause für jede andere deutsche Großstadt. Niko begegnet neurotischen Schauspielern (Arnd Klawitter), traumatisierten Klassenkameradinnen von früher (Friederike Kempter) und desillusionierten Kneipengängern (Michael Gwisdek). Und dabei will er doch nur einen Kaffee.
Regisseur Jan-Ole Gerster beobachtet seinen Protagonisten dabei, lässt sein um sich selbst zirkulierendes Handeln und das seiner Umwelt unkommentiert — und entwickelt mit genau diesem nüchternen Blick in grobkörnigem Schwarz-Weiß einen rauen Humor, der keine der Figuren, sei sie auch noch so soziopathisch, der Lächerlichkeit preisgibt. „Oh Boy“ ist ein launiges Generationenporträt ohne Allüren — und hat genau deswegen das Zeug zum Kult.