Simon: Über die Einführung ins Bürgertum

Jan-Joef Liefers brilliert im Gesellschaftsporträt „Simon“.

Düsseldorf. Hoch oben auf den dicken Ästen der alten Eiche fühlt sich Simon am wohlsten. Hier versinkt er in seine Bücherwelten, und wenn der Wind durch die Zweige weht, hört es sich an, als würde der Baum mit ihm sprechen.

Sein Vater ist dagegen, dass der Junge sich in ferne Fantasien flüchtet. Erik Larsson (Stefan Gödicke) ist ein einfacher Handwerker mit einem proletarischen Bewusstsein, das fest im Hier und Jetzt verankert ist. Nur durch die Unterstützung der Mutter (Helen Sjöholm) bekommt der Sohn die Erlaubnis, die höhere Schule im nahen Göteborg zu besuchen.

In der Stadt ist spürbar, was in der ländlichen Idylle nur als Zeitungsüberschrift wahrgenommen wird: Ein zweiter Weltkrieg steht vor der Tür, und keiner weiß, ob Schweden mit hinein gezogen wird. Simon freundet sich mit dem jüdischen Buchhändlersohn Isak an, der mit seinen Eltern vor den Nazis geflohen ist.

Isaks Vater Ruben (Jan Josef Liefers) versorgt Simon nicht nur mit Literatur, sondern nimmt ihn auch in sein erstes klassisches Konzert mit, das für den Jungen zu einem Erweckungserlebnis wird. Über die Jahrzehnte verbindet die beiden Familien fortan ein enges Band der Freundschaft, das aber auch immer wieder durch Konkurrenzen aufgrund der bürgerlichen und der proletarischen Herkunft bestimmt ist.

Vor dem Hintergrund der Weltgeschichte zwischen 1939 und 1952 entwirft die schwedische Regisseurin Lisa Ohlin in „Simon“ nach dem Roman von Marianne Fredriksson ein komplexes Familiendrama, in das die Zeithistorie einsickert, ohne dass der Fokus auf die bewegte Figurenkonstellation verloren geht. Ohlin lässt die Charaktere nicht zu Schachfiguren der Geschichte werden, sondern vermisst auch sehr genau den moralischen Bewegungsspielraum und die persönliche Integrität des Einzelnen.

Aus dem ausgezeichneten Ensemble dieser deutsch-schwedischen Produktion ragt besonders Jan Josef Liefers heraus, der die Figur des in die Enge getriebenen und stets um Haltung bemühten jüdischen Bourgeoise aus der Opferecke herausholt und zu einer schillernden, vielschichtigen Persönlichkeit ausbaut.