Traumfabrik am Tiber: 80 Jahre „Cinecittà“
Rom (dpa) - Das „Teatro No. 5“ in Cinecittà war für Federico Fellini so etwas wie ein zweites Zuhause. Hier hatte er sich sogar eine kleine Wohnecke eingerichtet, um die römischen Filmstudios in seinen kreativsten Zeiten auch nachts nicht verlassen zu müssen.
Er spüre eine Art von Ekstase, wenn er vor dem leeren Studio stehe, hat der Meisterregisseur (1920-1993) einmal gesagt: Der ganze Raum warte darauf, gefüllt zu werden und eine neue Welt entstehen zu lassen.
Glanz und Gloria der römischen Filmstadt sind zwar seit den goldenen 1950er und 60er Jahren verblasst, als hier Hollywood-Diven von Elizabeth Taylor bis Ava Gardner ein- und ausgingen. Aber auch 80 Jahre nach der Grundsteinlegung kommen noch immer Weltstars an den Tiber, um hier zu filmen und zu produzieren.
Ein Rückblick: Nachdem die kleinen Vorgänger-Studios „Cines“ aus nie ganz geklärten Gründen abgebrannt sind, ordnet der faschistische Diktator Benito Mussolini den Bau einer riesigen Filmstadt an, um dort nach deutschem Vorbild hauptsächlich Propaganda-Filme zu drehen. Es ist der 29. Januar 1936. Mit stolzem Stechschritt marschiert der Duce zur Grundsteinlegung - die Kamera, die die Szene für die Ewigkeit einfängt, ist noch heute in den Studios zu sehen.
„Aber Mussolini wollte auch die italienische Kinematographie vorantreiben, um der amerikanischen Vorherrschaft etwas entgegenzusetzen“, erklärt Cinecittà-Direktor Giuseppe Basso. In weniger als 400 Tagen wird die 40 Hektar große Filmstadt mit neun großen Studios vor den Toren Roms aus dem Boden gestampft - bereits am 28. April 1937 wird sie feierlich eröffnet.
In den ersten Jahren und Jahrzehnten entstehen wahrhaft „römische“ Filme, angefangen bei den neorealistischen Werken von Regisseuren wie Roberto Rossellini und Luchino Visconti, die etwa in „Rom, offene Stadt“ (1945) oder „Bellissima“ (1951) mit der Charakterdarstellerin Anna Magnani die bittere Nachkriegsrealität auf die große Leinwand brachten. Dann hält Hollywood Einzug und schafft eindrucksvolle Monumentalproduktionen, die unauslöschlich mit der Geschichte des Kinos verbunden bleiben: „Ben Hur“, „Quo Vadis“, „Kleopatra“.
Für die berühmte Szene des Wagenrennens mit Charlton Heston im MGM-Klassiker „Ben Hur“ allein wurde ein 18 Hektar großes und damals schon eine Million Dollar teures Set gebaut. Dann kamen Liz Taylor und Richard Burton - und mehr noch als über die Dreharbeiten zu „Kleopatra“ sprach ganz Rom über die Liebesaffäre der damals noch mit anderen Partnern verheirateten Weltstars. „Rom war ein bisschen wie Hollywood geworden, ein Hollywood am Tiber gewissermaßen“, sagt Direktor Basso. „Das zeigte sich nicht nur in Cinecittà, sondern auch in der ganzen Stadt, wo damals das „Dolce Vita“ herrschte.“
Apropos Dolce Vita: „Marcello, komm her!“, raunt die üppige Anita Ekberg ihrem Filmpartner Marcello Mastroianni zu, während sie sich in einer schwarzen Abendrobe im Trevi-Brunnen räkelt. Die wohl berühmteste Szene aus dem Klassiker über das süße Leben in der italienischen Hauptstadt habe Fellini am Originalschauplatz gedreht - allerdings um drei Uhr morgens im Februar, als kaum jemand auf den Straßen war, erzählt die Theaterwissenschaftlerin Giulia Bianconi. Sie führt seit zwei Jahren Besucher durch die Studios und die Dauerausstellung „Cinecittà si mostra“ (Cinecittà zeigt sich).
Die berühmte Via Veneto - die Flaniermeile der Reichen und Schönen - wurde für die Dreharbeiten hingegen originalgetreu in Cinecittà nachgebaut. „Fellini wollte nicht in der Stadt drehen, weil überall Paparazzi unterwegs waren. Sie haben ihn maßlos gestört“, erzählt Bianconi. Auch die Liebe der Anfang 2015 gestorbenen Ekberg zu Cinecittà hielt ein Leben lang - sogar einen ihrer letzten Geburtstage feierte sie gleich neben dem Set der Erfolgsserie „Rom“.
Für die Ko-Produktion von HBO, BBC und RAI aus dem Jahr 2005 war in neun Monaten das alte Rom wiederauferstanden, samt Prachtbauten, Säulen, Pflastersteinen und Armenvierteln - täuschend echt gearbeitet aus Fiberglas und Holz. Das beeindruckende Set ist eines der wenigen, das noch steht und zugänglich ist. Wo sonst, wenn nicht in einer Traumfabrik, können Besucher durch einen römischen Triumphbogen spazieren und am anderen Ende im alten Ägypten herauskommen?
„So ist das beim Film - alles verändert sich ständig, Sets werden gebaut und wieder abgerissen, um Platz für neue Ideen zu schaffen“, sagt Bianconi. Und viele Ideen wurden in Cinecittà umgesetzt: William Wylers „Roman Holiday“ (Ein Herz und eine Krone) mit der bezaubernden Audrey Hepburn, Blake Edwards' „Der rosarote Panther“, Bernardo Bertoluccis „Der letzte Kaiser“, Anthony Minghellas „Der Englische Patient“ und Martin Scorseses „Gangs of New York“ - die Liste der Welterfolge ist lang.
Erst kürzlich ist Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) an den Tiber zurückgekehrt, um eine Neuauflage von Ben Hur zu drehen, dieses Mal mit Jack Huston und Morgan Freeman als Protagonisten. Der Film soll im Sommer in die Kinos kommen. Und auch Ben Stiller und Owen Wilson drehten „Zoolander 2“ in Rom. „Cinecittà ist nicht nur ein Relikt aus der Vergangenheit, Cinecittà ist auch die Zukunft“, meint Basso. „Wir sind in der Lage, ehrgeizige Projekte in großem Stil umzusetzen - denn wir sind eben nicht mehr nur Fellini.“ Verhandlungen über neue Großproduktionen laufen nach den Worten des Direktors bereits - Namen will er aber noch nicht verraten.