Im Koma Türkische Filmemacher leben mit (Selbst)zensur
Nürnberg (dpa) - Nicht nur Journalisten und Oppositionelle haben es in der Türkei derzeit nicht leicht. Auch die Arbeit von Filmemachern wird durch die rigide Anti-Terror-Politik der türkischen Regierung erschwert.
„Alle kritisch Denkenden sind blockiert. Fernsehkanäle und Kinobetreiber zeigen ihre Filme nicht - und wenn doch, erreicht man nur einen sehr kleinen Kreis“, berichtet Adil Kaya, Leiter des noch bis Sonntag dauernden Filmfestivals Türkei Deutschland in Nürnberg.
Auch bei der so wichtigen staatlichen Förderrunde seien zuletzt alle Regisseure leer ausgegangen, die eine bestimmte Friedens-Petition unterschrieben hätten, sagt Kaya. „Alle machen sich große Sorgen und leben in einer gewissen Angst.“ Die angespannte Stimmung sei in diesem Jahr auch beim Filmfest spürbar.
„In einer Demokratie hat man immer die Hoffnung auf die nächste Wahl und auf die Opposition. Aber die Opposition ist verschwunden, und das macht mir Sorgen“, sagt der in Istanbul lebende Regisseur Tevfik Baser. Manche seiner Freunde in der Türkei hätten bereits ihren Job verloren, erzählt der 66-Jährige.
Schon vor dreißig Jahren habe es in einem seiner Filme geheißen: „Wenn man in seinem eigenen Land nicht sprechen kann, ist das schlimmer als der Tod.“ Viele der Filmemacher in Nürnberg berichten, dass es immer wieder solche Zeiten in der Türkei gegeben habe. „Ich bin 57 Jahre alt und habe bereits drei Militärputsche erlebt“, sagt etwa Basers Kollege, der Istanbuler Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur Ercan Kesal. Vor dem Putsch im Jahr 1980 habe er einen ähnlichen Druck verspürt wie jetzt. „Seitdem man seine Gedanken auf Papier drucken kann, wird man in der Türkei verfolgt.“ Der Druck sei also nicht Erdogan-spezifisch, sondern systematisch in der Türkei.
„Das Land ist unsere Heimat. Aber wir haben noch nie erlebt, dass eine freiheitliche Meinungsäußerung oder eine Vielfalt der Meinungen erlaubt und toleriert war.“ Neben der direkten Zensur habe es auch immer eine Selbstzensur der Künstler geben, sagt Kesal. Und die sei das Schlimmste, bestätigt Baser. In solchen Zeiten müsse man als Künstler irgendwie überleben. „Wir sind im Koma. Wir werden künstlich ernährt und warten darauf, irgendwann wieder wach zu werden.“
Baser erinnerte in dem Zusammenhang an die Filmemacher in den Ostblock-Ländern vor dem Mauerfall: „Paradoxerweise waren die polnischen, tschechischen und ungarischen Filme damals richtig gut und haben Preise gewonnen. Die hatten den politischen Druck und die Zensur, und sie haben gelernt, wie sie es umgehen können.“ Ihre Methode seien „wunderschöne Metaphern“ gewesen. Inzwischen räumten iranische und chinesische Filme die Auszeichnungen ab.
„In Zeiten der Repressionen steigt auch die Kreativität der Künstler“, sagt Ercan Kesal. Auch jetzt noch gebe es in der Türkei „wunderbare und kritische Filme“, ergänzt Baser - etwa über die unterdrückte Arbeiterklasse oder die Hoffnungslosigkeit und Freiheitssuche der jungen Generation.
Auch Festival-Chef Kaya sagt: „Es gab genügend Filme, die wir zeigen konnten.“ Darunter seien auch kritische Werke wie etwa „Rauf“ über eine Familie aus dem Mittelstand, deren Töchter gut ausgebildet sind, sich aber trotzdem der PKK anschließen. Oder der Film „Kor“ über die Opferrolle von Frauen in der türkischen Gesellschaft.
Kesal zeigte sich überzeugt, dass die Türkei die aktuelle Situation bald hinter sich lassen werde. Die Geschichte der Menschen sei durch Widerstand und Kämpfe gekennzeichnet. „Auch wir werden kämpfen und Widerstand leisten.“
Beide Filmemacher übten zugleich indirekt Kritik an Deutschland, weil man sich hierzulande erst jetzt so richtig für die Probleme in der Türkei interessiere: „Wo waren sie denn in den vergangenen zwölf Jahren?“, fragt Baser. Auch Kesal gibt zu bedenken: „Wenn die Politiker sich nicht verkracht hätten - würden Journalisten und Intellektuelle sich dann so bemühen, die Künstler in der Türkei zu verstehen?“ Die deutsche Regierung sehe die Türkei lediglich als Vorposten im Mittleren Osten; als Land, das für sie die Flüchtlinge aufhält. Wenn die Türkei diese Rolle als „Gendarm für Europa“ ohne Gegenwehr akzeptiert hätte, würde sich weiter niemand für die Lage in seinem Land interessieren, vermutet Kesal.
„Wir brauchen aber Freunde, die versuchen, die demokratische Tradition in der Türkei zu verankern“, betont der 57-Jährige. „Wir müssen eher mehr zusammenhalten. Wir brauchen die Solidarität aus Europa und Deutschland.“ Daher sei man sich auch beim Filmfest einig gewesen, sich nicht von den politischen Spannungen zwischen Berlin und Ankara vereinnahmen zu lassen, sagt Kaya. „Dafür ist der Dialog zwischen der Türkei und Deutschland zu wichtig.“