Vor 50 Jahren kam Winnetou ins Kino
Berlin (dpa) - Vor 50 Jahren fand sich ein französischer Schauspieler zur Erstaufführung eines deutschen Films in München ein. Viel erwartete er nicht, denn er hatte in dem ganzen Streifen nur ein paar Sätze Text gehabt, worüber er sich ziemlich aufgeregt hatte.
Umso fassungsloser war er, als er vor dem Kino von jubelnden Fans begrüßt wurde. „Winnetou! Winnetou!“ kreischten die Mädels. Da endlich dämmerte Pierre Brice, dass seine Rolle als schweigsame Rothaut für die Deutschen doch etwas Besonderes sein musste.
„Ein Traum Ihrer Jugend ist Wirklichkeit geworden“, versprach im Herbst 1962 der Kinotrailer. „Karl Mays fantastischer Erfolgsroman "Der Schatz im Silbersee" als deutscher Monumentalfilm!“ Nach der „Uraufführung“ am 12. Dezember 1962 in Stuttgart und der „Erstaufführung“ in München zwei Tage später war die Adenauer-Republik im Bann von Freiheit und Abenteuer. Drei Millionen Zuschauer tauschten für zwei Stunden die Enge ihres Alltags gegen die Weite des Westens - die Karl-May-Welle der 60er Jahre begann.
Der Erfolg kam für viele überraschend, nicht zuletzt für den Berliner Produzenten Horst Wendlandt (1922-2002). Die Idee zu der Verfilmung hatte ihm sein Karl-May-begeisterter Sohn eingegeben: Wendlandt selbst kannte kein einziges Buch. Deshalb glaubte er auch nicht daran, dass sich die Deutschen massenhaft für einen Indianer begeistern würden. Stattdessen setzte er darauf, dass Götz George als draufgängerischer Fred Engel der Held des Films werden würde.
Regisseur Harald Reinl (1908-1986) war dagegen ein echter Karl-May-Kenner. Er war es auch, der die wildromantische Landschaft Kroatiens als Wildwest-Kulisse entdeckte. Als er die Rolle des Winnetou allerdings mit einem Mexikaner besetzen wollte, griff Wendlandt ein - dieser Typ könne höchstens Winnetous Mörder spielen, spottete er. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten war noch immer niemand gefunden. Da fiel Wendlandt bei einem Empfang während der Berliner Filmfestspiele ein gutaussehender Franzose auf. Sofort entschied er: „Das ist er!“ Pierre Brice nahm die Rolle nur an, weil er hörte, dass in dem Film auch der Hollywood-Star Lex Barker mitspielen würde. „Von Karl May hatte ich noch nie etwas gehört.“
Am 6. August begannen die Dreharbeiten an den azurblauen Plitvicer Seen in Kroatien. „Da bist du reingesprungen und wolltest gar nicht mehr raus“, schwärmte Götz George noch Jahrzehnte später. Am Set herrschte eine babylonische Sprachverwirrung - die meisten Nebendarsteller waren Jugoslawen, und weder Lex Barker noch Pierre Brice konnten auch nur ein Wort Deutsch. Einmal glaubte Brice, der Regisseur habe „Winnetou!“ gerufen, und galoppierte vor die Kamera. Reinl hatte aber nur „Bitte Ton!“ gesagt.
Reinl zog nun mit einem Tross von 300 Komparsen und 150 Pferden durch Jugoslawien. Horst Wendlandt erinnerte sich später: „Da hatte ich plötzlich wahnsinnige Angst und hab mir gedacht, was das wohl kostet.“ Aber Reinl beruhigte ihn. Um zu sparen, drehte er jeden Tag 14 Stunden. „Der hatte eine Ausdauer!“, erzählte Wendlandt. Aber auch die Schauspieler hätten ohne Murren mitgezogen, „von Lex angefangen“. Der 1,93-Meter-Mann, der im Film ganze Verbrecherbanden per Faustschlag erledigt, war in Wahrheit eine so empfindsame Seele, dass er einmal in Ohnmacht fiel, als Pierre Brice nach Drehschluss mit seinem Auto verunglückte. Der „Blutsbruder“ blieb jedoch unverletzt - Lex weinte Freudentränen.
Kurz bevor der Film fertig wurde, traf Wendlandt noch einmal instinktiv die richtige Wahl: Aus mehreren Kompositionen Martin Böttchers wählte er die berühmte Winnetou-Melodie aus. Eigentlich war es die „Old-Shatterhand-Melodie“, aber vor allem die jüngeren Zuschauer begeisterten sich nun mal besonders für den Apachenhäuptling im cremefarbenen Wildleder-Anzug. Die Schüler, die sich damals den „Bravo“-Starschnitt von Winnetou aufhängten, waren die spätere 68er Generation. Als Studenten wollten sie allerdings nicht mehr an das unpolitische Idol ihrer Jugend erinnert werden - 1968 wurde die Karl-May-Reihe eingestellt.