Vorabendkrimis: Das Schmunzeln vom Lande

Die Serie „Mord mit Aussicht“ hat einen Trend gesetzt und ist trotz Entschleunigung ganz modernes Fernsehen.

Düsseldorf. „Nachtisch?“, fragt die Wirtin. Sophie Haas hat nach dem Teller mit den Käsebroten durchaus noch Appetit, vor allem auf den charmanten Mann neben ihr an der Theke. Der hat sich als „Dscherahr“ vorgestellt und passt irgendwie nicht in die verschnarchte Welt des Eifeldörfchens Hengasch.

Allein das macht ihn rasend interessant für die Kommissarin. Also vernascht Sophie nach den Käsebroten noch Gérard und wacht am nächsten Morgen glücklich auf — wow, ein One-Night-Stand in der Eifel! Leider ist der Nachtisch da bereits tot. Natürlich vergiftet. Gérard heißt eigentlich schnöde Gerhard Müller und liegt auf dem Golfplatz, wo er als Trainer und „Klub-Casanova“ fungierte. „Die Frau, die der noch nicht hatte, die tritt erst nächsten Monat ein“, erfährt die gedemütigte Sophie Haas am Tatort.

Das Landleben macht der Kommissarin wieder schwer zu schaffen in „Tod am 18. Loch“, der Folge am Dienstag von „Mord mit Aussicht“ — der ARD-Serie, die sich zu einem Phänomen auswächst. Kaum Tempo (außer im Gesicht der mimisch äußerst beweglichen Haas-Darstellerin Caroline Peters), wenig Krimi-Spannung und dazu eine Kulisse mit, vorsichtig ausgedrückt, geringen Schauwerten außer: grün.

Modernes Fernsehen sieht anders aus, sollte man meinen. Aber das macht eben den Charme aus: Während man vor einigen Jahren noch neidvoll auf den Erfolg der „CSI“-Reihen aus den USA blickte, auf jene schicken, mit Millionen-Etats gepäppelten Edel-Krimis aus Las Vegas, Miami und New York, probierte der WDR mal etwas. Eine Art Anti-„CSI“. Entschleunigtes Fernsehen, Szenen voller lakonischem Witz mit seltsam abgebrochenen Dialogen.

Ein skurriler Mikrokosmos aus uncoolen, aber komischen Figuren, die jeder romantischen Vorstellung vom Landleben Hohn sprechen, ohne dass fade Bauernwitze gerissen würden oder überall Kuhfladen herumlägen, in die immerzu hineingetreten wird. Kurz: Eine Serie mit guten Drehbüchern, großartig besetzt und mit Gespür für die komischen Momente des Alltags inszeniert. Also doch: modernes Fernsehen.

Die ersten sechs Folgen wurden im Januar 2008, jeweils montags, ausgestrahlt, der zweite Teil der ersten Staffel erst zweieinhalb Jahre später. Eigentlich ein schwieriger Start, doch im Juli 2010 schlug „Mord mit Aussicht“ auf dem erfolgreichen, aber etwas verstaubten Serien-Sendeplatz der ARD am Dienstagabend mit durchschnittlich fünf Millionen Zuschauern bestens ein. Die laufende zweite Staffel findet ein noch größeres Publikum, was allerdings kein Wunder ist, weil sie nicht während der Ferienzeit im Sommer ausgestrahlt wird. Dennoch: Hier begegnen sich Quote und Qualität mal auf Augenhöhe.

Der Haken an der Sache: Das Schmunzeln vom Lande hat sich im Ersten zu einer wahren Landplage entwickelt. Beflügelt vom „Mord mit Aussicht“-Erfolg, probiert es die ARD am Vorabend mit verschiedenen Provinzkrimis in der Reihe „Heiter bis tödlich“ — Kopien von unterschiedlicher Qualität, die aber nicht ans Original heranreichen. Aber dafür kann Sophie Haas ja nichts.

In Hengasch ist offenbar eingetreten, was erst den nachhaltigen Erfolg einer Serie ausmacht: Dass sich die Zuschauer für die Protagonisten interessieren, ach was: dass sie sie liebgewonnen haben. Den schluffigen Schäffer (Bjarne Mädel) und seine ihn fürsorglich belagernde Ehefrau Heike (Petra Kleinert), die brave Bärbel (Meike Droste) und natürlich die lebendig schillernde Großstadtpflanze Haas, die, obwohl umgetopft nach Hengasch, nichts umwerfen kann. Nicht einmal ein vergifteter Nachtisch.