Zettl: Berlin ist keine Party wert
Es klang verheißungsvoll: Helmut Dietl dreht mit Deutschlands Schauspielelite eine Sozialsatire. Doch das Ergebnis ist tragisch: In „Zettl“ funktionieren weder Plot noch Pointen.
Irgendwann — nach rund einer Stunde, gefühlt sind es aber schon zwei — blickt Karoline Herfurth als Flittchen mit Schmollblick „Bully“ Herbig an und bettelt: „Können wir uns nicht wieder anlügen, so wie früher? Das war irgendwie einfacher!“ Man lacht kurz — und merkt: Dies ist das erste Mal seit Beginn des Films. Eine Komödie ohne Pointen ist der lang erwartete „Zettl“ geworden. Und das ist noch das geringste Problem dieses Films.
Am tragischsten an Helmut Dietls Versuch, noch einmal wie zu seligen „Kir Royal“-Zeiten ein Zeitgeistporträt einer an sich berauschten High Society zu entwerfen, ist der offensichtliche Realitätsverlust, der den großartigen Wadenbeißer von einst und seinen juvenilen Co-Autoren Benjamin von Stuckrad-Barre ereilt haben muss. Denn diese Schickeria, die in „Zettl“ die Hinterzimmer und Talkshowsessel der Berliner Republik bevölkert, ist ein Hirngespinst, eine gequälte Verlagerung des beschwipsten 80er-Jahre-Münchens in den tristen Trabanten-Charme der bärbeißigen Hauptstadt zu Eurokrisenzeiten.
Eigentlich sollte Franz-Xaver Kroetz seine Rolle des Klatschreporters Baby Schimmerlos aufleben lassen. Kroetz stieg allerdings aus, weil er mit dem Skript nichts anfangen konnte. Dietl reagierte unerbittlich: In einem animierten Prolog sieht man, wie er seine berühmteste Figur buchstäblich gegen die Wand fahren lässt. Motorradunfall, das Brandenburger Tor war robuster: Aus is’ mi’m Baby! Zurückbleiben seine Ex Mona (Senta Berger) und sein einstiger Fotografen-Kollege Herbie (Dieter Hildebrandt). Wie die beiden Veteranen des Dietl-Kosmos sich würdevoll durch ihren unmotivierten Nebenplot spielen, ist beruhigend. Dietl kriegt nicht alles klein, was er selbst erschaffen hat.
An Babys Stelle tritt der titelgebende Zettl, Chauffeur des Verlages, in dem Schimmerlos einen Neuanfang als Magazin-Chef wagen wollte. Mit vollmundig bayerischem Idiom plappert er den Schweizer Verleger (Ulrich Tukur) weich, bis der ihm tatsächlich die Chance gibt, ein Online-Magazin für Berlin aus der Taufe zu heben. Skandalträchtige Geschichten kennt der gut vernetzte Zettl genug. Beim Versuch, sie strategisch einzusetzen, verzettelt er sich aber eben.
Es ist traurig, wie verzweifelt „Zettl“ darum ringt, große Satire sein zu wollen, und es noch nicht mal schafft, eine launige Posse zu liefern. Die Figuren, die der Film schildert, wirken wie fixe Ideen, die während einer durchzechten Nacht entstanden sind und die nur witzig finden kann, wer beim launigen Suff dabei war. Als Karikatur einer geltungssüchtigen Journaille und einer scheiternden Politkaste versagen diese wandelnden Schnapsideen völlig.
Da gibt es beispielsweise eine Berliner Bürgermeisterin (Dagmar Manzel), die eigentlich ein Kerl ist und das letzte maßgebliche Überbleibsel ihrer Männlichkeit in einer Prominentenklinik entfernen lässt. Im Nachbarzimmer liegt der Bundeskanzler (Götz George), ein seelisch verwahrloster Mann, der bewusstseinsberaubt wie ein Zombie dahinsiecht.
Und in Wartestellung lauert der mecklenburgische Ministerpräsident (Harald Schmidt), ein Westimport aus Schwaben mit Vorliebe für glitschige Liebesspiele mit Professionellen. Eine von ihnen spielt Karoline Herfurth. Warum sie Politkonkubine wurde und weshalb Zettl und sie etwas Besonderes verbindet — es bleibt im Trüben.
Erhalten hat sich Dietl nur das Timing, getragen von peitschenden Dialogsalven. Früher waren sie bei ihm wie das Knallen eines Champagnerkorkens, sie waren laut, pointiert und süffig. In „Zettl“ sind sie wie die Plapperei am Morgen nach der Party — verkatert und wirr.