Anderer Blickwinkel Firas Alshater - Wie ein syrischer Youtuber die Deutschen sieht

Berlin · Firas Alshater ist ein Youtube-Star mit syrischer Fluchtgeschichte. Er hält den Menschen einen Spiegel vor, in dem sie sich selbst aus ungewohnter Perspektive wahrnehmen können.

Ein Syrer in Deutschland: Firas Alshater.

Foto: Ullstein verlag/Ullstein-Verlag

„Der Leitkultur? Die Leitkultur? Das Leitkultur?“, grübelt der Syrer auf dem Sofa sitzend. Sind regionale Speisen wie Brezeln und Sauerkraut Leitkultur? Oder die Castingsendung „Germanys next Topmodel“? Firas Alshater kommt in dem Clip nicht dahinter, was mit dem politisch aufgeladenen Wort eigentlich gemeint ist.

Unterlegt ist das rund zehnminütige Youtube-Video mit poppiger Musik und Comicszenen. Das 2017 veröffentlichte Stück mit dem Titel „Leitkultur – Was ist das?“ wurde bis heute rund 40 000 Mal aufgerufen.

Der 27-Jährige Alshater wirkt so wie viele Berliner Hipster: Langer Vollbart, die Spitzen an den Seiten hoch gezwirbelt, nerdige Brille, Tätowierungen, Piercing, legere Kleidung, betont coole Attitüde. Doch Alshater ist kein dauernd lächelnder Kerl, der niedliche Erklär-Videos veröffentlicht, er ist der erste deutsche Youtube-Star mit Fluchtgeschichte.

Nur der Tod eines anderen ist der Grund dafür, dass er heute in einem Berliner Café sitzt, im Gespräch den Bart krault und ausdrucksstark gähnt, weil er das ganze Wochenende in einem Club tanzen war. Denn wäre der syrische Journalist Tamer Alawan 2012 nicht während der Dreharbeiten für „Syria Inside“ ums Leben gekommen, dann würden die Deutschen Alshater wohl kaum kennen. Der Berliner Filmemacher Jan Heilig produzierte den deutsch-syrischen Film, weil Alshater selbst schon seit Jahren die Greueltaten des Regimes und die Proteste dagegen mit der Kamera dokumentierte, wurde er der neue Mann für „Syria Inside“.

Es begann mit einem Film zwischen Kriegsdoku und Comedy

Eine Facebook-Freundin stellte den Kontakt zu Heilig her, der kümmerte sich darum, dass Alshater mit einem Visum nach Berlin kommen konnte. Gemeinsam beendeten sie den Film, der eine Mischung aus Comedy und Kriegsdokumentation ist – zwei syrische Showmaster führen auf humorige Art durch ihr Land und erklären die Revolution; gezeigt werden auch echte Szenen aus Foltergefängnissen.

Alshater erinnerte sich beim Sichten des Materials an seine Tortur, doch die Arbeit im sicheren Ausland half ihm dabei, „ein bisschen Abstand zu gewinnen“. Er wird endlich wieder wertgeschätzt. „Zum ersten Mal seit einer langen, langen Zeit bin ich wieder ein Mensch“.

Eingesperrt, freigekauft und schließlich aus Syrien geflüchtet

Aufgewachsen in Damaskus, studierte Alshater Theater und träumte davon, Schauspieler zu werden, bis 2011 die Revolution ausbrach, und der säkulare Syrer sich dem Aufstand anschloss. Sein Aktivismus führte nach eigener Aussage dazu, dass er eingesperrt und gefoltert wurde.

Erst nach neun Monaten gelang es seiner Familie, ihn freizukaufen. Er entschloss sich zur Flucht, lebte für kurze Zeit in der Türkei, wo er weiterhin als freier Journalist für Medien weltweit arbeitet. Im Mai 2013 kam er schließlich in Berlin an. „Sie haben mich nicht geschlagen. Trotz der lupenreinen Papiere wurde ich zwar lange festgehalten, verhört und durchsucht. Diese Polizisten respektieren mich also auch nicht, aber sie respektieren wenigstens ihr eigenes Gesetz“, sagt er.

Doch der Freude folgte bald die Ernüchterung. Das Leben im Asylbewerberheim ohne Möglichkeiten der Entfaltung empfand er als entwürdigend. „„Asylbewerber“ klingt richtig gut, oder? Als wäre Flüchtling ein Topberuf wie Telechirurg. Das wollte ich schon als Kind werden“, sagt er voller Zynismus. Sein Leben stagnierte, als er Anfang 2016 mit Heilig ein neues Projekt in Angriff nahm. Schauspieler werden kann er trotz seinen mittlerweile sehr guten Deutschkenntnisse nicht. Aber Comedian, das könnte gehen.

„Leiden und Lachen liegen immer sehr eng beieinander. Ich habe ja auch gelacht, als ich aus dem Foltergefängnis kam“, sagt er Der Humor ist auch sein Instrument, um all die Todesnachrichten aus seiner alten Heimat besser verarbeiten zu können. Und vieles ist einfach amüsant. Wer wie Alshater neu in Deutschland ankommt, der wundert sich über die Deutschen, die „immer Angst haben: vor Arabern, vor ihrer eigenen Polizei, vor den Behörden und vor der Steuererklärung.“

So starteten die beiden Freunde gemeinsam auf dem Youtube-Kanal Zukar (arabisches Wort für Zucker) die Reihe Zukar-Stücken. Das erste Video mit dem Titel „Wer sind diese Deutschen?“ war ein Probelauf für ein Filmprojekt, das Flüchtlingen eine eigene Stimme geben soll. „Die Deutschen – das sind 80 Millionen Menschen. Man kann nicht sagen, sie sind alle gleich. Genauso ist es mit den Flüchtlingen. Ich muss die Menschen akzeptieren, wie sie sind – und umgekehrt. So läuft die Integration. Das will ich mit meinen Videos erzählen“.

Umarmungs-Video wurde mehr als eine halbe Million mal geklickt

In seinem ersten Video steht Alshater auf dem Berliner Alexanderplatz, neben sich ein Schild auf dem Boden auf dem steht: „Ich bin ein syrischer Flüchtling. Ich vertraue dir. Vertraust du mir? Umarmen sie mich!“ Nach einigem Zögern umarmen ihn vorbeigehende Passanten, die Aktion wird ein voller Erfolg, Alshater grinst: „Wenn die Deutschen mit etwas einmal anfangen, dann hören sie damit nicht mehr auf.“ Das Video ging viral, innerhalb weniger Tage wurde der Clip mehr als eine halbe Million mal angeklickt.

Alshater war immer noch Hartz-IV-Bezieher, nun berichteten Journalisten weltweit über ihn, auch aus Japan und China. Sie wollten von ihm wissen, was er über Gleichberechtigung denkt, über Deutschland, über Zwangsehen. „Als müsste ich mich für alles verantworten, was je ein arabischer Mensch Schlimmes getan hat. Lieber Reporter, wie stehst du denn zu den Kriegen der USA im Irak und in Afghanistan? Was denkst du über die Ausbeutung der Textilarbeiterinnen in Bangladesh? Aber ist es denn seine Schuld?“, entgegnet er.

Mit 25 Jahren schrieb er eine Autobiografie. 2016 schaffte er es auf die „Next Generation Leaders“-Liste des amerikanischen „Time“-Magazins, das ihn „Clown Prince of Migrants“ nannte. „Endlich mal kein Hass“ schreiben Kommentatoren in sozialen Netzwerken. Andere beschimpfen ihn als „arabischer Affe“. Aber die meisten Anfeindungen habe er von anderen Arabischstämmigen erlebt. Die würden ihm vorwerfen, sich mit seinem lockeren Auftreten der Mehrheitsgesellschaft anbiedern zu wollen.

Mittlerweile arbeitet Firas Alshater auch für die Deutsche Welle. In der Social-Media-Reihe „Firas unter Menschen“ räumt der Comedian ebenfalls mit Vorurteilen auf – aber auch mit arabischen. Syrer, so stellt er fest, hätten sehr merkwürdige Vorstellungen von Deutschland, etwa die, „dass das Geld hier auf der Straße liegt“. Auch bei Zukar gibt es mittlerweile rund 60 Videos. Es sind klamaukige Abhandlungen über deutsche und arabische Eigenheiten oder über aktuelle politische Themen.

Die Diskussionen hätten sich seit seiner Ankunft verändert, sagt er. Wenn negative Schlagzeilen über einen Flüchtling erscheinen, dann gebe es Sippenhaft, er schüttelt darüber den Kopf: „Ein Terrorist ist ein Terrorist. Er macht das nicht, weil er etwa ein Syrer ist, sondern weil er ein Idiot ist“. Alshater selbst will kein Vorbild sein. „Ich bin Firas, ich bin ein Mensch, ich bin, wie ich bin“, sagt er trotzig.