Alberto Giacometti: Der letzte Etrusker?
Paris (dpa) - Hatte sich Alberto Giacometti als Verkörperung des letzten Etruskers gesehen? Eine Frage, die provozierend klingt, ihre Legitimität jedoch durch die Ausstellung „Giacometti und die Etrusker“ in der Pariser Pinakothek erhalten könnte.
Langgestreckte etruskische Votivfiguren werden mit Giacomettis ausgehungerten überlangen Statuetten verglichen. Die Ähnlichkeit ist augenfällig und frappierend. Eine nicht unumstrittene Gegenüberstellung, auf die manche in der Kunstwelt schon lange gewartet haben dürften.
Die Pariser Pinakothek ist bekannt für ihre gewagten Gegenüberstellungen von Künstlern und Kunstepochen. Zuletzt sorgte „Jackson Pollock und der Schamanismus“ für Aufsehen. Mit seiner bis zum 8. Januar dauernden Giacometti/Etrusker-Schau könnte Marc Restellini erneut den Zorn der Kunstgötter auf sich ziehen. Die stabdünnen und überlangen Wesen des Bildhauers erinnern eindeutig an die überschlanken etruskischen Figurinen.
Die Ausstellung begnügt sich nicht mit einer formalen Analyse, sondern greift für ihren Vergleich auf schriftliche Dokumente zurück. Giacometti (1901-1966) hat gern und viel in Ausstellungskataloge und Tagebücher gezeichnet. So auch im Jahr 1955, als er im Louvre die große Etrusker-Ausstellung besuchte. Auf einer Karte, die das damalige Etrurien darstellt, hat er kleine etruskische Figurinen gezeichnet, die sich in Richtung seines Geburtsortes bewegen.
Was der in Stampa im Kanton Graubünden geborene Künstler damit sagen wollte? Für Restellini wollte Giacometti eine Brücke zwischen sich und den Etruskern schlagen. „Das ist erstaunlich, so als würde er sich als eine Art letzter Etrusker sehen, eine Art Inkarnation“, erklärte Restellini. Für den Fachmann sind diese Zeichnungen wichtige biografische Hinweise und könnten die Welt der Kunstgeschichte, die seit 50 Jahren auf diese Konfrontation gewartet habe, weiterbringen.
Giacometti selber sprach nie über diese Zeichnungen. Auch deshalb tun sich Kunsthistoriker mit dem Vergleich schwer. Dennoch: Die Ähnlichkeiten sind auffallend, vor allem die mit der berühmten Grabbeigabe „Abendschatten“, einer kleinen, filigranen, langgestreckten Bronzefigur aus dem heutigen Volterra im Herzen der Toskana.
Die „Ombra della Sera“ ist vor etwa 2300 Jahren entstanden. Es ist schwer, bei dem Anblick der modern wirkenden überschlanken Statuette nicht an die berühmten Figuren Giacomettis der Serien von „Die Frauen von Venedig“ zu denken. Giacometti hat die als Mona Lisa der Etrusker geltende Skulptur erstmals in den 1960er Jahren gesehen.
Die Ausstellung stellt den 150 etruskischen Vasen und Skulpturen rund 30 Giacometti-Werke gegenüber, die unter anderem Leihgaben der Fondation Maeght in Südfrankreich sind. Die Annäherung der beiden Welten mag für einige Fachleute noch zu formal sein, eine ästhetische Augenweide ist sie auf jeden Fall.