Apoll im Blitzlicht - Neues Scanverfahren will Kunstschätze bewahren
Die Kunstschätze der Welt sind auf Hunderte von Sammlungen verteilt. Wissenschaftler müssen aufwendig ins Museum gehen, um sich mit Skulpturen zu befassen. Ein neues Verfahren zum Scannen soll Zeit und Geld sparen - und es soll die Forschung weltweit vernetzen.
Frankfurt (dpa) - Apoll muss noch etwas warten. Dann setzt sich das Fließband mit der Bronzestatue in Bewegung, es fährt die Kostbarkeit aus dem 15. Jahrhundert langsam unter zwei Bögen mit Kameras hindurch und weiter zu einem Roboterarm. Neugierig scheint sich dieser der kleinen Statue von allen Seiten zu nähern, er fotografiert sie hier, knipst sie dort. Nach wenigen Minuten wird Apoll im Frankfurter Liebieghaus wieder in die Skulpturensammlung entlassen. Der nach Angaben des Fraunhofer IGD weltweit erste Scan eines Kunstoriginals auf einer mobilen Scanstraße ist fertig, Apoll ist als Kunstwerk erfolgreich gesichert und die Experten des Instituts sind zufrieden.
Hinter dem etwas sperrigen Titel „Cultlab3D“ verbirgt sich der Versuch der Darmstädter Software-Spezialisten, ein dreidimensionales Kunstwerk sowohl in seiner Form als auch in seiner Struktur, Farbe und Oberfläche zu erfassen. Klassifiziert und mit wichtigen Anmerkungen versehen könnte dann weltweit auf den digitalen Scan der Skulptur, der Scherbe oder Fossilie zurückgegriffen werden - sei es für die Forschung, sei es aus Vergnügen. „Oder sei es, weil man sich die Venus von Milo mit einem 3D-Drucker ausdrucken und auf den Schreibtisch stellen möchte“, sagt Vinzenz Brinkmann, der Leiter der Antikensammlung des Liebieghauses.
Für die Kunstliebhaber und Wissenschaftler drängt die Zeit: ein Erdbeben wie 2003 im iranischen Bam oder ein Brand wie in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek - und innerhalb weniger Momente können Kulturschätze zerstört sein. Brinkmann sieht den Nutzen der Scan-Straße deshalb nicht nur in der Forschung, sondern natürlich auch im Bewahren der Kunstschätze.
Das Liebieghaus scannt seine Kunst bereits seit Jahren, bislang kostet dies aber mächtig Zeit und Geld. Bei einer gescannten und analysierten Figur sei es bald vielleicht möglich, von New York oder Sydney aus ein Körperteil wie das Auge anzuklicken, es haarscharf zu betrachten und sich zu informieren, sagt Brinkmann. Vasenteile aus aller Welt könnten virtuell zusammengefügt und als komplette fotorealistische Rekonstruktion erforscht werden. „Die menschliche Wahrnehmung ist auf das Dreidimensionale ausgerichtet, ein 3D-Scan kommt ihm entgegen“, meint der Kunstexperte, dessen Haus als Partner des Fraunhofer IGD auftritt.
Bei seiner Premiere wird Apoll zunächst unter zwei ineinander geschachtelten Aluminiumbögen fotografiert, insgesamt 81 Mal von 9 Kameras. Aufgenommen werden die Geometrie, die Textur und die optischen Materialeigenschaften wie Bronze, Seide oder Unebenheiten.
Apoll fährt weiter, als nächstes umgarnt ihn ein gelenkiger Roboterarm, der die Statue gezielt anfährt, um mit einem weiteren Scanner Lücken zu schließen. Nach vier bis fünf Minuten bringt das Fließband Apoll sicher an seinen Ausgangsort zurück.
„Wünschenswert wäre es natürlich, solche Pipelines an den Archiveingängen von Museen zu installieren“, sagt Pedro Santos, der beim Fraunhofer IGD die Abteilung für die Digitalisierung von Kulturerbe leitet. „So hätte man Objekte erfasst, bevor sie für lange Zeit in den Magazinen verschwinden.“ Dann allerdings müssten Santos und sein Team noch am Aufwand feilen: Der Scan mit der mobilen Straße im Liebieghaus dauert den Experten jetzt noch zu lange. „Wir haben die Halbzeit unserer dreijährigen Entwicklungsphase erreicht, am Ende wollen wir auf unter zehn Minuten kommen“, sagt er.
Auch das könnte noch zu lang sein angesichts der Millionen von Kulturartefakten in den Museen der Welt. Das Liebieghaus besitzt mehrere Tausend Stücke, für die Sammlung käme eher eine Scanstraße zum wochenweisen Mieten in Frage. Die Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin dagegen umfasst über sechs Millionen Objekte mit etwa 120 000 Neuzugängen pro Jahr. Alle wollen digital erfasst, klassifiziert und archiviert werden. Eine Scanstraße dürfte dort rund um die Uhr laufen, um einigermaßen Schritt halten zu können.
Bis sich neben seinem Scan noch Tausende weitere im Online-Archiv wiederfinden, bleiben zudem etliche Fragen offen: Was wird eine Scanstraße kosten? Wohin mit den enormen Datenmengen, die beim Digitalisieren von Millionen Kunstgegenständen anfallen? Wie sichert man sie für Hunderte Jahre? Welches Datenformat nutzt man, damit sie dann noch lesbar sind? Und wer besitzt die Rechte am Scan?
Und betrachtet man künftig die Kunst nur noch per Mausklick? „Nein, keineswegs“, zeigt sich Kunstexperte Brinkmann überzeugt. „Ein Scan ersetzt kein Original. Und der Mensch ist von Natur aus neugierig genug, nach dem Original zu streben und sich zu vergewissern, dass es tatsächlich so aussieht."