Kunstschau Biennale in Venedig: Jesus eisgekühlt und Häkelstudio
Venedig (dpa) - Auf der diesjährigen Kunst-Biennale in Venedig wird viel gesponnen. Überall hängen Fäden, Wolle, Textilien von den Wänden. Flickenteppiche und Wollknäuel türmen sich in der Hauptausstellung im Arsenale.
Überall dürfen Besucher mitmachen, sich beteiligen, mitnähen. Oft sitzen auch die Künstler mitten in ihren Kunstwerken. Werkstattatmosphäre. So wollte es die Kuratorin Christine Macel.
Nicht politische Thesen, sondern die Kunst um der Kunst willen: „Viva Arte Viva“, es lebe die Kunst, so das Motto der 57. Biennale, die traditionell zu den wichtigsten Schauen für zeitgenössische Kunst gehört und diesen Samstag für das Publikum öffnet. „Heute, in einer Welt voller Konflikte und Schocks, zeugt die Kunst von dem wertvollsten Teil, der uns menschlich macht“, erklärte Macel. Also kein marktschreierisches, verstörendes politisches Motto, sondern Wohlfühlatmosphäre? Geht das überhaupt?
„Kunst an sich, als Manifestation von Freiheit, von Kreativität in Bezug auf den Menschen ist hochpolitisch, nicht parteipolitisch“, sagte der deutsche Künstler Franz Erhard Walther, der mit 77 Jahren erstmals in Venedig dabei ist. „Aber Kunst in einem freien, allein ästhetischen Raum gab es für mich nie, auch in der Geschichte nicht.“ Er findet das Motto dennoch äußerst passend, denn Kunst zu leben, das entspreche ganz seiner Philosophie.
Aber auch in den „Bastel-Studios“ geht es um die großen Themen der Zeit. So zum Beispiel beim dänisch-isländischen Kunststar Olafur Eliasson, der in Berlin arbeitet. In einer Werkstatt kleben afrikanische und arabische Migranten zu einem guten Zweck Lampen zusammen. Sehr befremdlich, finden die einen, habe das Ganze doch eher Charakter einer „Brot für die Welt“-Aktion als von Kunst. Eliasson stelle die Menschen außerdem zur Schau, sagen Kritiker. Für sehr aktuell und sozial wichtig halten es dagegen andere.
Dass Christine Macel vom Pariser Centre Pompidou erst die vierte Frau an der Spitze der mehr als 120 Jahre alten Biennale ist, wurde mehrmals thematisiert. Und man kommt nicht umhin, die Woll- und Textilaffinität als „weiblichen Touch“ der Biennale zu interpretieren. „Diese Biennale leistet ein Stück Frauenförderung. Auch wenn das nicht das Ziel der Übung war, es ist doch spürbar“, sagte die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Auch der deutsche Pavillon wird von zwei Frauen gestaltet, der Kuratorin Susanne Pfeffer und der Künstlerin Anne Imhof. Und mit einer brutalen Performance verbreitet er alles andere als Wohlfühlatmosphäre.
Überhaupt stehen die Ausstellungen in den nationalen Pavillons im Kontrast zu Macels Schau. Vor dem österreichischen stellte Erwin Wurm einen riesigen Lastwagen auf den Kopf. Nach dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit einem Laster habe er sich gefragt, „ob ich die Arbeit noch realisieren darf“, sagte Wurm dem österreichischen „Kurier“. Im Pavillon selbst hängt eine Person mit dem Hintern aus einem Wohnwagenfenster. Das Thema Migration habe ihn interessiert, so Wurm. „Mit dem Wohnwagen nimmt man sich die Heimat in die Ferne. Man integriert sich nicht.“
Tunesien verteilt derweil bei einer Performance an die Besucher Pässe und stellt die Begriffe Herkunft und Identität in Frage. Zur Sache geht es im italienischen Pavillon, traditionell stark beachtet von der Kunstkritik. Hier hat der Künstler Roberto Cuoghi eine Art riesiger Jesus-Fabrik installiert. In „Imitazione di Cristo“ kann der Besucher durch Plastikschläuche wandern und in Gummi- und Kühlkammern einen wächsernen Christus in verschiedenen (Verwesungs?)Stadien bewundern. In einem katholisch geprägten Land ist so etwas ein Aufreger.
Auch der türkische Künstler Cevdet Erek gestaltet den nationalen Pavillon - in Zeiten einer politisch höchst beunruhigenden Zeit in der Türkei muss sein Beitrag besonders beachtet werden. „Ich tue mein Bestes, etwas zu machen, das zur Kultur der Meinungsfreiheit in meinem Land beiträgt“, sagte er in einem Interview von „The Quietus“.
Wer ruft also am lautesten in die Lagune hinein?, fragte die „Kunstzeitung“. Einen Aufreger lieferte zumindest schon im Vorfeld der Pavillon von Aserbaidschan, den der deutsche Kunstmanager Martin Roth mitkuratiert. Ein Engagement, für das er im Vorfeld angegriffen wurde, weil er damit eine autokratische Regierung unterstütze. Und einige rümpften die Nase, dass der Leiter der Berliner Nationalgalerie, Udo Kittelmann, für die Stiftung des Modekonzerns Prada am Rande der Biennale eine Ausstellung konzipierte. Doch das Kunst und Kommerz immer nah beinander liegen, ist allseits bekannt. So gehörte bei der Preview der Biennale die Party des Luxuskönigs François Pinault zu den begehrtesten.
Also trotz aller Strickkunst - die Biennale beweist, dass Kunst nie einfach nur Kunst sein kann.