Der Fall Kevin Spacey: Kann man Künstler und Werk trennen?

Berlin (dpa) - Hollywood ist extrem. Es kann einen Star über Nacht in den Himmel heben, aber auch abstürzen lassen. Kevin Spacey ist nach den Belästigungsvorwürfen gegen ihn nun derart geächtet, dass er aus einem schon fertigen Film von Ridley Scott herausgeschnitten wird - sechs Wochen vor dem Kinostart.

Foto: dpa

Kann man Spacey als skrupellosen Machtpolitiker Frank Underwood in „House of Cards“ künftig noch bewundern? Die einen sagen: Nein - und fordern den Entzug seiner beiden Oscars. Die Schriftstellerin Thea Dorn dagegen kritisiert in einem Deutschlandfunk-Interview: „Seit wann ist Kunst eine Benimmschule?“ Vor 30, 40 Jahren habe man einem Künstler noch zugestanden, „ein halber Outlaw“ zu sein, heute dagegen wolle man nur noch brave Schwiegersöhne. „Das ist ein neuer Totalitarismus, der da heraufzieht, ein moralischer, und es schürt ja auch eine fürchterliche Paranoia.“

Ein Blick zurück zeigt vor allem eines: Für die Nachwelt zählt meist nur noch die künstlerische Leistung. Ob ihr Erzeuger ein Egomane, Psychopath oder Verbrecher war, spielt keine Rolle. Der italienische Barockmaler Caravaggio etwa war an einem Totschlag beteiligt und danach ständig auf der Flucht. Rembrandt (1606-1669) - bewundert für seine mitfühlenden, zutiefst menschlichen Bilder - ließ seine Ex-Geliebte jahrelang ins Gefängnis sperren, nachdem sie erfolgreich auf Unterhalt geklagt hatte. Die Neue an seiner Seite war 16 Jahre jünger.

Stephan Berg, Direktor des Kunstmuseums Bonn, meint: „Wenn man sich aus der Kunst all die Menschen wegdenkt, die unmoralisch, sexistisch, menschenverachtend oder auch ganz einfach kriminell gehandelt haben, dabei aber großartige, bis heute berührende oder aufwühlende Werke hinterlassen haben, wäre die Welt zwar ein kleines bisschen besser, aber die Kunst ein ganzes Stück ärmer.“

Das Urteil der Nachwelt ist allerdings zu unterscheiden von der Haltung der Zeitgenossen, die alles unmittelbar miterleben. Wer selbst einmal sexuell belästigt worden ist, wird die Vorwürfe gegen Spacey möglicherweise nicht so einfach wegwischen. Für sie - oder ihn - überlagert der Gedanke an das Fehlverhalten des Menschen Spacey seine Schauspielkunst so sehr, dass die filmische Illusion nicht mehr verfängt.

Abzuwarten bleibt auch, ob künftig noch jemand mit Spacey zusammenarbeiten will. Rembrandt war schon zu Lebzeiten berühmt - aber gleichzeitig entgingen ihm große Aufträge, weil viele Leute einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten.

Mitunter kann ein Künstler auch lange nach seinem Tod so sehr ins Zwielicht geraten, dass sein Werk anrüchig wird. Nach dem Krieg war es zum Beispiel für viele Verfolgte des Naziregimes unvorstellbar, noch Opern von Richard Wagner (1813-1883) zu hören - denn seine Musik war gleichsam der Soundtrack des Nazi-Regimes gewesen. Der englische Schauspieler, Publizist und Komiker Stephen Fry („Oscar Wilde“/„Der Hobbit“) wiederum ist trotz seiner jüdischen Wurzeln ein leidenschaftlicher Wagner-Fan.

Wenn er als Kind Stücke seines Lieblingskomponisten spielte, hielt ihm seine österreichischstämmige Mutter oft vor: „Ich weiß, dass du das magst, und es ist schon in Ordnung, aber sag mir doch mal: Was spricht eigentlich gegen Mozart?“ Für Frys Mutter waren Werke wie „Der Ring des Nibelungen“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“ durch die Nazis und Wagners eigenen Antisemitismus befleckt.

Ihr Sohn hat schon mehr Abstand dazu und kann Wagner dadurch wieder in erster Linie als Künstler betrachten, losgelöst vom historischen Kontext. Er sei jetzt „der glücklichste Mann in Deutschland“, sagt er in seinem Film „Wagner und ich“, nachdem er im Haus Wahnfried in Bayreuth auf dem Originalklavier seines Idols gespielt hat.

Die Enttäuschung über die Niedertracht eines Künstlers ist umso größer, je mehr man ihn bewundert hat - man fühlt sich dann geradezu verraten. Unwillkürlich hat man vorausgesetzt, dass derjenige, der etwas so Großes oder Schönes schaffen kann, auch persönlich ein besonderer, ein integerer Mensch sein muss. Aber im Grunde hat das eine mit dem anderen natürlich wenig zu tun.

Wilhelm Waetzoldt, Generaldirektor der Staatlichen Museen in Berlin zu Zeiten der Weimarer Republik, hat es einmal sehr drastisch ausgedrückt: „Es ist eine irrige, durch und durch verlogene Meinung, die vom großen Künstler verlangt, dass er ein großer Mensch sei.“