Günter Brus - Eine Rasierklinge zeichnet auf Haut

Berlin (dpa) - Blut, Exkremente, Selbstverletzungen. Der Künstler Günter Brus ist ein eher zierlicher Mann - aber seine Werke kommen mit ziemlicher Wucht daher.

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Mit seinen Aktionen treibt er sich in den 1960ern ans Maximum. Irgendwann hätten Ärzte ihm gesagt, das sei nicht ungefährlich, erzählt der Österreicher am Freitag in Berlin. Dort widmet ihm der Martin-Gropius-Bau eine neue Ausstellung. Wer „Günter Brus. Störungszonen“ besucht, muss durch einiges durch.

Was treibt einen dazu, sich mit einer Rasierklinge in den Körper zu ritzen? Es sei eine Mischung aus inneren Verletzungen und kunsttheoretischen Überlegungen gewesen, sagt der 77-Jährige. Für den Betrachter sehe das furchtbar aus, für ihn selbst sei es aber nicht so schlimm gewesen. „Durch eine Anspannung oder Konzentration ist der Schmerz weitgehendst ausgeschaltet.“

Manchem Zuschauer geht es da anders. Seine Werke sind zeitlich geordnet - und so kommen die schwierigsten Stücke gleich zu Beginn. Für „Ana“ (1964) beschmiert er den nackten Körper seiner Frau mit schwarzer Farbe. 1965 spaziert er ganz in Weiß durch Wien - mit einem senkrecht aufgemalten Strich, als sei er entzwei gerissen. Ein Polizist habe ihn gefragt, was er da mache, erzählt er. „Ja, ich geh' als Kunstwerk spazieren“, habe er geantwortet. „Ja, wa? Des soll Kunst sein?“ „Ja, sog i, meiner Meinung nach schon.“

In der Universität Wien schneidet er sich 1968 vor Hunderten Zuschauern in Brust und Bein, beschmiert sich mit Kot und singt onanierend die Bundeshymne. Die „Uni-Ferkelei“ (so schreibt nach Angaben des Museums angeblich die Boulevardpresse) bringt ihm Ärger mit Behörden ein. Brus wird wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole und Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu einer Haftstrafe verurteilt. Mit Österreich ist er erst einmal fertig.

Brus erzählt vor der Ausstellungseröffnung - heute mit Hemd und Weste - davon, wie die Nachbarn damals Unterschriften sammelten, damit ihnen die Tochter weggenommen wird. Sie wollen dort nicht bleiben. Nachts seien sei aufgebrochen, um nach West-Berlin zu fliehen.

„Die Wunden, die Günter Brus sozusagen gerissen hat in sich selbst, den Schmerz, den er sich zugefügt hat, das waren auch Wunden, die er natürlich in diese österreichische Gesellschaft hinein gerissen hat“, sagt Wolfgang Muchitsch, Direktor des Universalmuseums Joanneum in Graz, das viele Werke von Brus beherbergt. Die Gesellschaft sei geprägt gewesen durch das Trauma des Weltkriegs und das Verdrängen und Verschweigen der eigenen Rolle im Nationalsozialismus.

Brus hört bald mit seiner Aktionskunst auf, auch die Künstlerbewegung des „Wiener Aktionismus“ zerschlägt sich. „Zerreißprobe“ wird 1970 seine letzte Aktion vor Publikum. Die Berliner Ausstellung zeigt ein Video davon, Blut rinnt über den Rücken von Günter Brus. Das ist schwer auszuhalten. Danach lässt er die Aktionen bleiben.

Brus malt, zeichnet, schreibt stattdessen. In Berlin bleibt er elf Jahre. Zusammen mit anderen habe er eine österreichische Exilregierung ausgerufen, sagt Kuratorin Britta Schmitz. Er habe auch das Buch „Irrwisch“ erstellt. Die erste Einladung zur Documenta nach Kassel folgte bald. Sein Werk umfasse Tausende Stücke, sagt Schmitz. Oft werde er nur auf seine frühen Aktionen beschränkt, dabei sei er viel mehr. „In Störungszonen bewegt sich Brus bis heute.“