Leben, Tod und Schönheit: Belgien feiert Andy Warhol
In Mons wird am Samstag eine Ausstellung von internationaler Bedeutung eröffnet. Bis zum 19. Januar 2014 sind 130 Warhol-Werke zu sehen.
Mons. Thunfischdosen, Tomatensuppe und Totenköpfe: Das malerische Menü, das das Team des BAM (Beaux-Arts Mons) am Samstag erstmals mit stolzgeschwollter Brust serviert, mag auf den ersten Blick nicht immer appetitlich wirken. Denn neben knallbunten Blumen grüßt der Tod - symbolisiert durch Revolver, Messer oder nackte Schädel. Dass die Totenköpfe an zentraler Stelle unnatürlich rot oder gar lila sind, lässt sie nicht weniger bedrohlich wirken.
"Leben, Tod und Schönheit" vereint die Andy-Warhol-Ausstellung, mit der das Museum im belgischen Mons Farbe bekennt: Die Sonder-Schau, die vom 5. Oktober 2013 bis zum 19. Januar 2014 präsentiert wird, soll ein wegweisendes Signal sein. Denn der Countdown läuft: Im Jahr 2015 wird Mons Kulturhauptstadt Europas.
Das erste kulturelle Highlight gibt es bereits jetzt. Mit 130 Warhol-Werken - die meisten sind großformatig und in Europa bislang kaum gezeigt worden - bricht im BAM eine neue Ära an. Nach zwei großen Renovierungsphasen - die erste hatte 2007 begonnen, die zweite folgte Ende 2011 - öffnet das Museum nun wieder seine Pforten und strebt internationales Format an.
Die Ziele sind hoch gesteckt: Mit Andy Warhol (1928-1987) wird zunächst der Vater der Pop-Art gefeiert. 2015 soll die nächste spektakuläre Ausstellung Akzente setzen - dann wird Vincent van Gogh geehrt.
Internationale Partnerschaften machen es möglich: Die aktuelle Ausstellung, von Gianni Mercurio kuratiert und von der Stadt Mons organisiert, ist in enger Zusammenarbeit mit dem Andy Warhol Museum in Pittsburgh entstanden. Auch belgische Privatsammler haben Leihgaben beigesteuert.
Das Ergebnis ist eine Hommage an den König des Knallbunten: Zwischen abstrakten Flächen und Bildern bedrohter Tierarten, die in ihrer Farbigkeit nur so vor Lebensfreude strotzen, mehren sich markante Selbstporträts. Natürlich dürfen Warhols weltberühmte Suppendosen ("Campbell's Soup Can", 1962) nicht fehlen.
Und auch der Glanz, der von der US-Prominenz ausgeht, erreicht die belgische Provinz Hennegau. Doch nicht weit entfernt von strahlenden Schönheiten wie Liza Minnelli oder Jean Collins findet sich eine düstere Anspielung: Das "Thunfisch-Desaster" von 1963 erinnert an einen realen Fall von Vergiftung - Dose an Dose reiht Andy Warhol auf seinem Bild mahnend nebeneinander.
Der Kurator möchte den Blick auf einen wenig bekannten Aspekt von Warhols Kunst lenken. Dessen Beziehung zu Spiritualität und Religion, sagt Mercurio, führe zu einer Ästhetik, die sich an den Grenzen zwischen Leben, Tod und Schönheit bewege.
Dass Warhol zum Fürsprecher des Konsumwahns abgestempelt wurde, ist keine neue Erkenntnis. In Wahrheit habe sich Warhol aber nicht gescheut, auch tiefe religiöse Empfindungen bildlich auszudrücken. Sie sind in seiner Arbeit sorgfältig versteckt und erschließen sich oft erst auf den zweiten Blick.
Schon in den 50er Jahren konzentriert er sich immer wieder auch auf die Darstellung von Engeln, der Geburt Christi oder der Madonna. Zwei Jahre vor seinem Tod beginnt der Künstler, der eigentlich Andrej Warhola hieß, mit der komplexesten Bilderserie seines Lebens: „The Last Supper".
Kurator Mercurio interpretiert das Werk als Endergebnis eines langen inneren Weges, dessen Anfänge bis in Warhols frühe Jugend zurückreichen. Mit zunehmendem Alter spielt Warhol auf den Schatten des Todes an, der ihm stets bewusst war: Als Kind hatte er seinen Vater verloren. Später wurde er bei einem Attentat durch einen Pistolenschuss schwer verletzt.
Die Schädel in „Skulls" sind daher klassische Symbole der Vergänglichkeit. Die Eier in „Eggs" hingegen können als Zeichen für Unsterblichkeit und Auferstehung gewertet werden. Auch militärische Tarnfarben zieren die Leinwand: Das Porträt von Mao und Bilder wie „Dollars", „Hammer and Sickle" oder „Statue of Liberty" stehen für den Niedergang von Macht.
Der Weg durch die Ausstellung führt an ikonisch gewordenen Bildern vorbei. Dazu gehören die Triade „Schönheit-Erfolg-Macht" mit Porträts von Marilyn Monroe und Jackie Kennedy ebenso wie die "Desaster"-Serie, zu der auch der „Electric Chair" gehört.
Mehr noch als das moderne Folterinstrument stehen allerdings reiche und unvergessene Künstler im Mittelpunkt: Porträts von Truman Capote, Keith Haring, Grace Jones, Dennis Hopper, Lana Turner und Aretha Franklin dürften nach wie vor die meisten Blicke auf sich ziehen.
Dabei gibt es auch eine Warhol-Vision der Mona Lisa zu bewundern. Seine Interpretationen von Meisterwerken der klassischen Kunst, etwa von Botticelli, verweisen darauf, wie viele Unsterbliche in den Kunstwerken der großen Meister existieren. „Mons 2015" unterstützt die Warhol-Ausstellung im Rahmen der Partnerschaft mit Kosice, der Europäischen Kulturhauptstadt 2013. Warhols slowakische Familie stammt aus Medzilaborce, einem kleinen Dorf an der polnischen Grenze, das einige Kilometer von Kosice entfernt liegt.
Die Sonder-Schau baut also in doppelter Hinsicht eine Brücke: Sie ist nicht nur in Verbindung zu Kosice zu sehen, sondern auch ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommen mag. Die belgischen Gastgeber sprechen gar von einem "Meilenstein für Mons auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt".
Wer nun Appetit bekommen hat, kann sich dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr ein eigenes Bild machen.